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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Gerbersau fahren, vorher lag keine Ortschaft mehr am Wege. Und ich wartete.
    Und nun sah ich den Karren, einen kleinen hochgebauten Kasten auf zwei
    Rädern, und einen Mann gebückt dahinter gehen. Warum bückte sich wohl
    der so schrecklich tief? Der Wagen mußte schwer sein.
    Da war er endlich.
    Guten Abend , rief ich ihn an. Eine klebrige Stimme
    hüstelte den Gruß zurück. Der Mann schob sein Wägelchen zwei, drei Schritt
    weiter und stand neben mir.
    Gott helfe mir – der Hotte Hotte Putzpulver! Er sah mich einen Augenblick
    an, fragte:
    Nach Gerbersau?
    und ging weiter, ich nebenher. Und so eine
    halbe Stunde lang – wir zwei nebeneinander durch die stille Finsternis. Er
    sprach kein Wörtlein. Aber er lachte alle paar Minuten in sich hinein, leise, innig und schadenfroh. Und jedesmal ging das böse, halb irre Lachen mir
    durch Mark und Bein. Ich wollte sprechen, wollte schneller gehen. Es gelang
    mir nicht. Endlich brachte ich mühsam ein paar Worte heraus.
    Was ist in dem Karren da drin?
    fragte ich stockend. Ich sagte es sehr
    höflich und schüchtern – zu demselben Hotte Hotte, dem ich hundertmal auf
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    der Straße nachgehöhnt hatte. Der Hausierer blieb stehen, lachte wieder, rieb sich die Hände, grinste mich an und fuhr langsam mit der breiten Rechten
    in die Rocktasche. Es war die hämisch häßliche Geste, die ich so oft gesehen hatte, und deren Bedeutung ich aus meinen Träumen kannte – der Griff nach
    den langen Messern!
    Wie ein Verzweifelter rannte ich davon, daß der finstere Wald widerhallte,
    und hörte nicht auf zu rennen, bis ich verängstigt und atemlos an meines
    Vaters Haus die Glocke zog.
    Das war der Hotte Hotte Putzpulver. Seither bin ich aus dem Knaben ein
    Mann geworden, unser Städtlein ist gleichfalls gewachsen, ohne dabei schöner geworden zu sein, und sogar in der Falkengasse hat sich einiges verändert. Aber der alte Hausierer kommt noch immer, schaut in die Kellerfenster, tritt in die feuchten Flure, schäkert mit den verwahrlosten Weibern und kennt alle die
    vielen ungewaschenen, strohblonden Kinder mit Namen. Er sieht etwas älter
    aus als damals, doch wenig verändert, und es ist mir seltsam zu denken, daß
    vielleicht noch meine eigenen Kinder einmal ihn an der Falkenecke erwarten
    und ihm seinen alten Übernamen nachrufen werden.
    (1901)
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    Ein Knabenstreich
    Der Sammetwedel war Besitzer eines stattlichen Kramladens in der Leder-
    gasse. Die Entstehung seines Kosenamens ist von etymologischem Interesse.
    Er hieß ursprünglich Samuel, und aus diesem Vornamen, den unser Dialekt
    langsam und nasal ausspricht, und aus der salbungsvoll weichlichen Sanftmut
    seines Trägers erwuchs diesem der endgültige Spitzname Sammetwedel. Er
    handelte mit Wein und Rosinenmost, mit Zigarren, Kolonialwaren, Kleider-
    stoffen und sonst noch mit den verschiedensten nützlichen und gewinnbrin-
    genden Artikeln.
    Samuel war sehr fromm. Er besuchte nicht nur regelmäßig die Kirche das
    taten alle anständigen und klugen Geschäftsleute –, sondern er lief auch zu
    den Versammlungen und Betstunden der Pietisten in Gerbersau und auf dem
    Lande. Beim Sprechen rieb er sich demütig und weichlich die blassen Hände
    aneinander, blickte öfters mit rührendem Augenaufschlag nach oben und pries
    mit lächelnd-selbstloser Gebärde seine Weine an. Auch seine Kleidung hatte
    etwas Demütig-Frommes, war altmodisch im Schnitt, dunkelgrau oder schwarz
    und hielt sich auf der Grenze zwischen sparsam und schäbig.
    Der unglückliche Mann war die Zielscheibe unaufhörlicher Neckereien. Wir
    Zwölfjährigen läuteten an seiner Haustür, schrieben ihm ulkige Briefchen,
    grüßten ihn mit ironisch übertriebener Hochachtung und belagerten oft ganze
    Abende lang seine Ladentreppe.
    Eines Sommerabends bummelte ich mit drei Kameraden untätig auf dem
    Marktplatz. Es fing gerade an, ein wenig langweilig zu werden. Wir hatten
    heute den Polizeidiener gehänselt, an allen Ecken und Haustüren spioniert,
    den Meßner mit Knallerbsen erschreckt und dem nervösen Apotheker an die
    Fenster gepocht, nun wußten wir nichts Neues mehr anzufangen.
    Ich geh’ heim , erklärte der Philipp gelangweilt.
    Nein, halt doch!
    riefen wir andern und zogen ihn mit uns die schmale,
    steile Kronengasse hinab. Da kam mir plötzlich ein Gedanke.
    Zum Sammetwedel!
    rief ich begeistert.
    Wir sind schon eine Ewigkeit
    nicht mehr bei ihm gewesen.
    Gesagt, getan. Mit wenigen Sätzen hatten wir im Sturm seinen Kaufladen
    erreicht. Vor

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