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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Dieser ganze bunte
    und ärmliche Trödel sah in der weißen Einsamkeit des Gebirgswinters dop-
    pelt affektiert und langweilig aus. In einem dieser Läden wurde meine deutsch vorgebrachte Frage nach einer gewissen Zigarrensorte englisch beantwortet.
    Als ich gegen Abend ins Hotel zurückkehrte, war mir der berühmte Sport-
    und Winterkurort gründlich verleidet. Im Bären war großer Ball angesagt,
    und ich hatte die heitere Aussicht, die halbe Nacht Tanzmusik, Lärm und
    Treppengepolter als Wiegenlied hören zu müssen. Wie viel lieber hätte ich
    die Nacht, gleich so vielen früheren, auf Stroh in einem stillen Bauernhaus
    zugebracht.
    Ich hatte gebeten, mich beim Diner neben Ogilvie zu setzen. Und kaum
    hatte ich Platz genommen, da erschien mein Freund mit seinem gewohnten
    raschen Schritt neben mir, grunzte mir ein saures
    bon soir
    entgegen und
    erkannte mich erst, als ich lachend seine Hand ergriff. Ein froher Blick aus seinen schönen, klugen Habichtsaugen dankte mir und goß einen Hauch von
    Seele und Güte über sein scharf gefaltetes, herbes Abenteurergesicht.
    Sie da, Hesse?
    rief er erfreut und vergaß fast zu essen vor Aufregung und
    Redeeifer, er sah nicht übel aus, entsetzlich mager zwar, aber zufrieden und frisch. Als ich auf meine unerfreulichen grindelwalder Eindrücke zu sprechen kam, lachte er lustig.
    Warten Sie bis morgen, wo wir vermutlich gutes Wetter haben werden!
    Und Schlitten gefahren sind Sie auch noch nicht. Übrigens, haben Sie Schlittschuhe mitgebracht?
    52
    Nach der Mahlzeit kamen wir bei einer Partie Billard und später bei einer
    Flasche Bordeaux zu ruhigerer Aussprache. Nach seiner Gesundheit durfte
    ich, das wußte ich schon, nicht fragen. Dafür erhielt ich Auskunft über seine vorjährige Reise, über Wanderungen und Ritte auf Sizilien und Korsika, über
    einige Bekannte, über berühmte Frauen und Pferde. Und dann fing er ganz
    plötzlich an, vom Sterben zu sprechen.
    Wissen Sie, ich lernte hier allmählich ein paar von den Schwerkranken ken-
    nen. Mein Gott, die Leute leben und husten so hin, als stünde nichts dahinter.
    Aber einer davon ist anders. Ein englischer Pfarrer, lungenkrank, aber noch
    lange nicht im letzten Stadium. Erleidet an einer unglaublichen Todesfurcht, und jetzt, wo es mir selbst wieder so gutgeht, habe ich ordentlich Mitleid
    mit ihm. Na! Genug von ihm. Aber den Gedanken ans Sterben bin ich diese
    ganze Zeit her nie völlig losgeworden. Deshalb bat ich Sie auch zu kommen.
    Vous comprenez, n’est-ce pas? Sie haben mich ja früher gekannt – wann habe
    ich je an den Tod gedacht? Jamais de la vie! Es muß von dem friedlichen
    Leben herkommen. Unter unsicheren Kameltreibern oder bei Seestürmen –
    Sie sind ja einmal mitgewesen – hab’ ich das nie gefühlt, und bei allerhand
    Revolverchosen war ich doch auch dabei.
    Ich weiß noch nicht recht , sagte ich,
    wovon Sie reden. Ist es ein Angst-
    gefühl oder –
    Angst? O nein! Außerdem bin ich meiner Gesundheit wieder sicher, wohl
    für Jahre hinaus. Wie soll ich es ausdrücken? Etwa so: ich muß mir von Zeit
    zu Zeit vorstellen, daß eines schönen Tages der Eiger und das Wetterhorn wie sonst heruntersehen werden, ich aber bin nicht mehr da. Das ist es: nicht mehr da! Was heißt das eigentlich? Ich bin ja wohl noch da, im Sarg unterm Boden, aber der ganze Petrus Ogilvie, der ganze lustige Satan, der ich war, – was ist’s damit?
    Herrgott, Ogilvie, machen Sie sich wirklich darüber Gedanken? Soll ich
    Ihnen wieder einmal die ganze hübsche Leier vom Werden und Vergehen und
    Wiederwerden vorsingen? Sie sind doch kein Schuljunge mehr!
    Allerdings nicht, Sie verstehen mich falsch. Übrigens – ist Ihre ganze
    schöne Naturphilosophie denn etwas anderes als Phrasendrescherei? Der Zel-
    lenstaat löst sich auf – oder: die Würmer fressen mich, das ist doch tout `
    fait
    la même Chose! Ihr Philosophen müßt eine rührende Liebe zum Universum
    haben, dem ihr im Sterben euch so freundlich übergebt. Ich fühle nur: Herr
    Ogilvie, der ein flotter Mensch war und zu leben verstand, soll eines Tages
    nicht mehr leben dürfen.
    Was heißt nicht mehr leben?
    Ei, was wird das heißen! Ich weiß wohl, daß die in Herrn Ogilvie vorhande-
    ne Summe von Leben und Stoff auch nach seiner Auflösung irgendwie dasein
    und wirken wird – aber wo ist Herr Ogilvie selbst geblieben?
    53
    Er ist ein Präteritum geworden, wie König Artur oder Julius Cäsar. Einen
    mehr als subjektiven Todestrost hat übrigens kein

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