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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Kellerfenstern hinein. Er gab allen diesen alten, faulen, schmutzigen Männern die Hand, er schäkerte mit den derben, ungekämmten,
    verwahrlosten Weibern und kannte die vielen strohblonden, frechen, lärmigen
    Kinder mit Namen. Er stieg auf und ab, ging aus und ein und hatte in seinen
    Kleidern, Bewegungen und Redensarten ganz den starken Lokalduft der licht-
    losen Winkelwelt, die mich mit wohligem Grausen anzog und die mir trotz der
    nahen Nachbarschaft doch seltsam fremd und unerforschlich blieb.
    Wir Kameraden aber standen am Ende der Gasse, warteten, bis der Hausie-
    rer zum Vorschein kam und schrien ihm dann jedesmal das alte Schlachtgeheul
    in allen Tonarten nach: Hotte Hotte Putzpulver! Meistens ging er ruhig wei-
    ter, grinste auch wohl verachtungsvoll herüber; zuweilen aber blieb er wie
    lauernd stehen, drehte den schwerfälligen Kopf mit bösartigem Blick herüber
    und senkte langsam mit verhaltenem Zorn die Hand in seine tiefe Rocktasche,
    was eine seltsam tückische und drohende Gebärde ergab.
    Dieser Blick und dieser Griff der breiten braunen Hand war schuld daran,
    daß ich mehreremal von Hotte Hotte träumte. Und die Träume wieder waren
    schuld daran, daß ich viel an den alten Hausierer denken mußte, Furcht vor
    ihm hatte und zu ihm in ein seltsames, verschwiegenes Verhältnis kam, von
    welchem er freilich nichts wußte. jene Träume hatten nämlich immer irgend
    etwas aufregend Grausiges und beklemmten mich wie Alpdrücken. Bald sah
    ich den Hotte Hotte in seine tiefe Tasche greifen und lange scharfe Messer
    daraus hervorziehen, während mich ein Bann am Platze festhielt und mein
    Haar sich vor Todesangst sträubte. Bald sah ich ihn mit scheußlichem Grinsen alle meine Kameraden in seinen Blechkarren schieben und wartete gelähmt vor
    Entsetzen, bis er auch mich ergreifen würde.
    Wenn der Alte nun wiederkam, fiel mir das alles beängstigend und aufregend
    wieder ein. Trotzdem stand ich aber mit den anderen an der Gassenecke und
    schrie ihm seine Übernamen nach und lachte, wenn er in die Tasche griff
    und sein unrasiertes, farbloses Gesicht verzerrte. Dabei hatte ich heimlich ein heillos schlechtes Gewissen und wäre, solange er auf dem Weg war, um keinen
    Preis allein durch die Falkengasse gegangen, auch nicht am hellen Mittag.
    Vom Besuch in einem befreundeten gastlichen Landpfarrhause zurückkehrend,
    wanderte ich einmal durch den tiefen schönen Tannenforst und machte lan-
    ge Schritte, denn es war schon Abend, und ich hatte noch gute anderthalb
    Stunden Weges vor mir. Die Straße begann schon stark zu dämmern und
    der ohnehin dunkle Wald rückte immer dichter und feindseliger zusammen,
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    während oben an hohen Tannenstämmen noch schräge Strahlen roten Abend-
    lichtes glühten. Ich schaute oft hinauf, einmal aus Freude an dem weichen,
    schönfarbigen Licht und dann auch aus Trostbedürfnis, denn die rasche Däm-
    merung im stillen tiefen Walde legte sich bedrückend auf mein elfjähriges Herz.
    Ich war gewiß nicht feig, wenigstens hätte mir das niemand ungestraft sagen
    dürfen. Aber hier war kein Feind, keine sichtbare Gefahr, – nur das Dunkelwerden und das seltsam bläuliche, verworrene Schattengewimmel im Waldinnern.
    Und gar nicht weit von hier, gegen Ernstmühl talabwärts, war einmal einer
    totgeschlagen worden.
    Die Vögel gingen zu Nest; es wurde still, still, und kein Mensch war auf der Straße unterwegs außer mir. Ich ging möglichst leise, Gott weiß warum, und
    erschrak, so oft mein Fuß wider eine Wurzel stieß und ein Geräusch mach-
    te. Darüber wurde mein Gang immer langsamer statt schneller, und meine
    Gedanken gingen allmählich ganz ins Fabelhafte hinüber. Ich dachte an den
    Rübezahl, an die
    Drei Männlein im Walde , und an den, der drüben am
    Ernstmühler Fußweg umgekommen war.
    Da erhob sich ein schwaches, schnurrendes Geräusch. Ich blieb stehen und
    horchte – es machte wieder rrrr – das mußte hinter mir auf der Straße sein. Zu sehen aber war nichts, denn es war unterdessen fast völlig dunkel geworden. Es ist ein Wagen, dachte ich, und beschloß, ihn abzuwarten. Er würde mich schon mitnehmen. Ich besann mich, wessen Gäule wohl um diese Zeit hier fahren
    könnten. Aber nein, von Rossen hörte man nichts, es mußte ein Handwagen
    sein, nach dem Geräusch zu schließen, und er kam auch so langsam näher.
    Freilich, ein Handkarren! Und ich wartete. Vermutlich war es ein Milchkarren, vielleicht vom Lützinger Hof. Aber jedenfalls mußte er nach

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