Die Erzaehlungen 1900-1906
zurück, mit der er zu knallen pflegte,
um sich Kinder vom Hals zu halten, die ihn verspotteten. In seinen hohen
Schaftstiefeln soll er ein langes Messer getragen haben, mit dem er zuweilen auch drohte. Ein Foto dieses kleinwüchsigen Mannes, dessen meistvon einem
Schlapphut bedeckter Wasserkopf, der fast ohne Hals zwischen den Schultern
saß, hat sich in Hesses Nachlaß erhalten.
Ebenso verbürgt ist der mutwillige
Knabenstreich
an dem aus dem pieti-
stischen Korntal stammenden Calwer Gemischtwarenhändler Samuel Leukardt
(1842–1922). Der Heimatforscher Siegfried Greiner konnte noch eine Augen-
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zeugin ausfindig machen, die sich an diese Begebenheit aus dem Jahr 1889
erinnerte.
Von seinen ersten Italienreisen zurückgekehrt, schrieb Hesse die Geschich-
ten
Der lustige Florentiner
und
Der Erzähler . In der 1902 festgehalte-
nen Posse vom lustigen Florentiner finden wir das wohl eindrucksvollste Fest wieder, das der Dichter kurz zuvor in Florenz erlebt hatte, den sogenannten
Wagenschuß , die Beförderung einer raketengetriebenen Heilig-Geist-Taube
in das Kircheninnere, womit alljährlich vor dem Florentiner Dom das Oster-
fest eingeleitet wird. In den Tagebüchern seiner beiden ersten Italienreisen, insbesondere aber der Schilderung
Lo scoppio del carro
von 1901 (vgl. Ju-
gendschriften SW 1, S. 576ff.), hat er ausführlich davon berichtet. Auch das Erlebnis mit dem Portrait, das der Maler Costa von jenem
lustigen Floren-
tiner
gemalt hat, mit dem sich der Ich-Erzähler dann plötzlich leibhaftig
konfrontiert sah, ist authentisch. Am 13.4.1901 hat Hesse diese Episode in
seinem ersten italienischen Reisetagebuch festgehalten (vgl. SW 11).
Die in der Art von Boccaccios Decamerone geschilderte Rahmengeschichte
Der Erzähler
spielt ebenfalls in Florenz, aller Wahrscheinlichkeit nach in
der nahe gelegenen Certosa di Val d’Ema, die Hesse damals besuchte und wo
er den greisen Herrn Piero (eine damalige Entsprechung des großen italieni-
schen Novellisten) nach einem Abendessen beim Abt des Klosters vor zwei
Besuchern aus Rom und Venedig eine schmerzhafte Liebesgeschichte fabulie-
ren läßt. Die 1903 entstandene Erzählung war das erste Ergebnis von Hesses
intensiver Beschäftigung mit Boccaccio, über den er ein Jahr später eine Mono-graphie verfaßte (vgl. Jugendschriften SW 1, S. 593ff.) und dessen Decamerone er mit einem großen Essay in der
Frankfurter Zeitung
anläßlich einer 1904
im Insel-Verlag erschienenen bibliophilen Neuausgabe des Buches gewürdigt
hat.
Auch die Erzählungen
Grindelwald
(1902),
Eine Billardgeschichte
(1902),
Wenkenhof
(1902),
Der Wolf
(1903) und
Der Städtebauer
(1905) ent-
standen in den Jahren, die auf Hesses Umzug von Tübingen nach Basel folg-
ten, wo er seine Ausbildung zunächst in der Buchhandlung Reich, danach im
Antiquariat Wattenwyl fortsetzte. Sie verarbeiten Eindrücke, die er in seiner spärlich bemessenen Freizeit teils vor Ort, teils bei Wochenendfahrten in die nähere Umgebung gewann.
In die Gletscherwelt des Berner Oberlandes führte ihn ein Winterausflug,
den er Ende Januar 1902 mit seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Hans unter-
nahm. Der Gasthof Bellary in Grindelwald verwahrt noch heute ein Übernach-
tungsverzeichnis, worin sich der 24jährige Buchhandelsgehilfe am 1.2.1902 mit der Berufsbezeichnung:
Schriftsteller
eingetragen hat. Das Haus kommt als
Villa Bellary
in der Erzählung
Grindelwald
vor. Jedoch gibt es für einen
real existierenden englischen Freund, den lungenkranken Globetrotter Petrus
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Ogilvie, der den Erzähler damals in das Nobelhotel
Bär
eingeladen hat, bis-
her keine Anhaltspunkte, obwohl die Ich-Erzählung, in welcher der Verfasser
sogar mit seinem eigenen Namen auftritt, dies nahelegen könnte. Die Beschreibung des damals vorwiegend von englischen Gästen besuchten Luftkurortes,
des Kontrastes zwischen der weißen Einsamkeit des Hochgebirgswinters, ne-
ben der sich der Trödel der Andenkenauslagen so deplaciert ausnimmt, und
der Lichteffekte auf den Gletschern der mächtigen Massive des Wetterhorns,
des Mettenberges und Eigers, die das Hochgebirgstal umschließen, ist auf eine Weise vergegenwärtigt, daß man sich geradezu hineinversetzt fühlt. Auch der
parallel zu der Erzählung entstandene kleine Gedichtzyklus
Hochgebirgswin-
ter
(Aufstieg, Berggeist, Grindelwald, Schlittenfahrt, vgl. Die Gedichte, SW
10) knüpft an dieses Erlebnis an.
Die kenntnisreiche
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