Die Erzaehlungen 1900-1906
Reisebeschreibungen aus dem 17. Jahrhundert, die Hesse als ein stilistisches Spiel und einen literarischen Spaß bezeichnet hat.
Noch zwanzig Jahre später plante er einen Sammelband mit dem Titel
Ori-
entreisen
herauszugeben. Im Nachwort zu dieser niemals erschienenen An-
thologie nennt er die Quellen, die ihn vermutlich auch zur Niederschrift der Schievelbeyn -Moritat angeregt hatten:
Diarium, oder Tage-Buch über Dasjenige, so sich Zeit einer neunjährigen
Reise zu Wasser und Lande, meistenteils im Dienst der vereinigten geoktroyerten Niederländischen Ost-Indianischen Compagnie, besonders in denselbigen
Ländern täglich begeben und zugetragen.
Von Johann von der Behr. Jena,
anno 1668.
Walter Schultzen,
Gedenckwürdige Reis nach Ostindien getahn , Amster-
dam 1676.
Neue Reisbeschreibung nacher Jerusalem undt Dem H[eiligen] Landte ,
geschrieben durch Laurentium Slisansky. Anno 1662.
Über den Stil dieser Berichte bemerkt Hesse in seinem Nachwort:
Alle
diese Reisebücher des 17. Jahrhunderts haben gemeinsam die Abenteuerlust
und Reisefreude jener Zeit der großen Entdeckungen und der beginnenden
Ausbeutung der indischen Welt durch Europa, sie haben auch gemeinsam
den Stil des Barock, einen gewandten, schmissigen und selbstbewußten Stil.
Zu diesem Stil scheint mir, als besonderer Duft, die Schreibweise jener Zeit zu gehören, und so habe ich diese Stücke völlig in der Orthographie der Originale wiedergegeben.
Die Handlung beginnt in Südafrika und schildert die unfreiwilligen Aben-
teuer eines Siedlers in der Kap-Provinz, die damals von der niederländischen Handelskompagnie besetzt war. Dank der Tüchtigkeit seiner Frau ist der Far-mer Anton Schievelbeyn so wohlhabend, träge und leichtsinnig geworden, daß
seine resolute Gattin keinen anderen Ausweg sieht, als ihn bei Nacht und Ne-
bel auf ein Schiff nach Java verfrachten zu lassen, auf daß er wieder nüchtern werde, das Arbeiten und den Ernst des Lebens kennenlerne. Diese Moritat,
aufgezeichnet in der barocken Orthographie und drastischen Sprache eines
Abraham a Santa Clara, hat Hesse unter dem Titel
Der verbannte Ehe-
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mann
kurz vor seiner eigenen Ostindien-Reise auch als Komische Oper in
fünf Akten bearbeitet (siehe SW 9). Eine Einzelausgabe der Erzählung erschi-
en 1914 als Münchner Liebhaberdruck des Bachmair Verlages. Erst 1935 hat
Hesse sie in das Fabulierbuch aufgenommen und damit in den Kontext seiner
Gesammelten Werke in Einzelausgaben
einbezogen. Drei Jahre später gab
er dem damals 22jährigen, staaten- und mittellosen Emigranten Peter Weiss
(1916–1982) den Auftrag (um ihm finanziell über die Monate seiner Schweizer
Aufenthaltsbewilligung hinwegzuhelfen), die Erzählung zu illustrieren. Diese Bilderhandschrift erschien erstmals 1977 gemeinsam mit dem Opernlibretto
Der verbannte Ehemann unter diesem Titel als insel taschenbuch 260.
Trotz des in diesem Nachwort unternommenen Versuches, Hesses frühe
Erzählungen (in notgedrungener Kürze) eher in thematischen Zusammenhäng-
en als streng chronologisch zu charakterisieren, bringt unsere Ausgabe die
Texte in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Denn nur so wird das aufschluß-
reiche Wechselspiel sichtbar, das sowohl autobiographische Einblicke in die
Entwicklung des Verfassers als auch in die themengeschichtliche Genese seines Erzählwerkes erlaubt.
Frankfurt am Main im Februar 2001
Volker Michels
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Quellennachweis
Erwin: Geschrieben um 1899/1900. Manuskript im Deutschen Literaturar-
chiv, Marbach am Neckar. Erstdruck im Sommer 1965 als achter
Oltener
Liebhaberdruck
in 765 numerierten Exemplaren, herausgegeben von Ninon
Hesse.
Der Novalis. Aus den Papieren eines Bücherliebhabers: Geschrieben um 1900.
Erstdruck in
März , München vom März 1907. Erstmals in Buchform u. d. T.
Ein altes Buch. Aus den Papieren eines Altmodischen
in der Anthologie
Sieben Schwaben . Ein neues Dichterbuch. Eingeleitet von Theodor Heuß.
Erste Separatausgabe als sechste Veröffentlichung der Oltener Bücherfreunde
in 1221 numerierten Exemplaren 1940. Aufgenommen in H. Hesse,
Frühe
Prosa . Frankfurt am Main 1960.
Der Kavalier auf dem Eise: Geschrieben im Februar 1901. Aus seinem [ Cal-
wer Tagebuch ]. Manuskript im Deutschen Literaturarchiv, Marbach a. N.
Erstdruck in
Rheinisch-Westfälische Zeitung , Essen vom 29.12.1901. Un-
ter verschiedenen Titeln ( Emma Meier ,
Auf dem Eise ) in Zeitungen
und Zeitschriften mehrfach veröffentlicht.
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