Die Erzaehlungen 1900-1906
überregionalen Blättern, ja sogar von dem in der Hauptstadt erschei-
nenden
Hans Sachs
(einer an den
Simplicissimus
erinnernden Revue)
veröffentlicht werden, wird seiner Heimat zum Ärgernis, weil er sein Talent
nicht weltläufigen Themen zuwendet, sondern es in einer seltsamen Art von
Anhänglichkeit und Heimatliebe am Ort und den Charakteren seiner Herkunft
erprobt.
Obwohl er seine Heimatstadt besser kannte und mehr liebte
als
irgendeiner, gilt er dort als Nestbeschmutzer. Die Gestalt des gleichaltrigen Karrieristen und späteren Notars Trefz, mit dem er aufgewachsen war, wird
ihm zum Inbegriff der kleinbürgerlichen Enge seiner Vaterstadt. Trefz ist einer jener Philister, die ihm von klein auf zu schaffen machten und die er so lange darstellen muß, bis es ihm gelingt,
sie mit einer abschließenden Arbeit für
immer zu bezwingen und sich vom Hals zu schaffen . Bis dies möglich war,
sollte auch für Hesse noch eine beträchtliche Zeit vergehen.
In den Umkreis von Gerbersau gehören weitere vier Kurzgeschichten, wel-
che Begebenheiten überliefern, die Hesse im Verlauf der fünfzehn Monate sei-
ner Schlosserlehre in der Turmuhrenfabrik von Heinrich Perrot erlebt hat. Die ausführlichsten dieser Darstellungen stehen in den letzten beiden Kapiteln von Unterm Rad und in der Erzählung
Hans Dierlamms Lehrzeit
(1907). Aber
auch die vier kurzen Ich-Erzählungen
Aus der Werkstatt ,
Der Schlosser-
geselle ,
Ein Erfinder
und
Das erste Abenteuer
geben ein anschauliches
Bild vom Alltag der damaligen Handwerksbetriebe, von den Spannungen und
Kraftproben zwischen Meistern, Gesellen und Lehrjungen, von ihren Eigenar-
ten und Konflikten. Nie wieder ist Hesse in so engen Kontakt mit dem arbei-
tenden Volk gekommen, wie damals, als er, der Klosterschule entlaufen, nach
Abschluß der mittleren Reife an einem Cannstatter Gymnasium zurückgekehrt
in seine Heimatstadt und dort von den ehemaligen Schulkameraden als
Lan-
dexamensschlosser
verspottet, sich 17jährig in diesem Handwerkermilieu zu
behaupten versuchte.
Auf die Frage Erika Manns nach dem Verhältnis zwischen Dichtung und
Wahrheit in der Schlossergeschichte
Das erste Abenteuer
antwortete Hesse
am 3.6.1958:
Mit der Erzählung von jenem jugendlichen Liebeserlebnis ist es
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so: sie ist wahr und erlebt, aber die Personen sind vertauscht: nicht die Dame der Erzählung war es, die mir Avancen machte, sondern eine andere Frau und
die liebte ich nicht.
Liebesgeschichten sind auch die Erzählungen
Heumond
und
Maler Brahm .
In
Heumond
werden zwei Sommerferientage im Leben eines 16jährigen
Schülers geschildert, die ihn mehr verändern als ganze Monate gleichgültigen Alltags. Dieser wird unterbrochen durch den Besuch der gleichaltrigen Berta, die sich in Paul, und ihrer aparten Begleiterin, in die sich Paul verliebt. Damit entstehen Kraftfelder, worin
unausgesprochene Leidenschaften sich kreuzen
und bekämpfen . Ohne zueinander finden zu können, erfahren die Beteiligten
zum ersten Mal ein Gefühl,
wobei der ganze Leib brannte und fror zugleich
. . . aber es war angenehm, so weh es tat .
Das Seelische , schrieb Hein-
rich Wiegand 1930 in einer Rezension, werde in dieser kunstvoll mit derselben Szene einsetzenden und schließenden Erzählung
mit Proust’schem Raffine-
ment in Arabesken der Landschaft und Witterung aufgelöst . Schauplatz der
Geschichte ist nicht Calw, sondern Bad Boll, wo der kurz zuvor ausgerisse-
ne Maulbronner Seminarist im Heil- und Erweckungszentrum des Pfarrers
Blumhardt von seinem Eigensinn kuriert werden sollte. Dort lernte er zwei
junge Baltinnen, eine davon 30jährig, namens Tiesenhausen, kennen. In ei-
nem an die Witwe des befreundeten Sinologen Richard Wilhelm gerichteten
Brief vom 24.5.1944 erinnert sich Hesse:
Boll war einer der großen Eindrücke
und eines der großen Erlebnisse für mich in jenen Jahren, wo man Eindrücke
und Erlebnisse noch voll und wirksam in sich aufnimmt, wo sie zu dauernden
Vorstellungen, fast zu Urbildern werden. Ich habe einmal, in der Erzählung
>Heumond<, Boll zwar in ein Privathaus verwandelt, aber das Lokale und den humanen Boller Geist doch mit hineingenommen, und wenn ich heut an
Boll denke, wo ich als 15Jähriger, glaube ich, zuletzt gewesen bin, dann geht mir das reale Boll von damals mit dem Haus und Garten meiner Erzählung
wunderlich durcheinander.
Die tragische Geschichte des
Maler Brahm , ein Künstler, der durch die
Liebe zu einer
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