Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Zavelstein, um meiner
    Mutter die Hand zu geben und Geld und Ratschläge von ihr mit zu nehmen.
    Ich sah ihr an, daß sie weinen würde, sobald die Tür zwischen uns wäre.
    Sie hielt sich aber tapfer, war auch sparsam mit den Mahnungen, die wohl
    jeder Wanderbursche von seinen Alten mitbekommt und die fast jeder in der
    ersten Herberge am Nagel hangen läßt.
    Bleib brav und werde ein rechter
    Mann!
    sagte sie zuletzt. Da mein Herz von Natur nicht hart und damals
    noch weicher als heute war, zitterte mir die Stimme, als ich Behüt Gott sagte.
    Und als ich nun die Tür aus der Hand ließ, hinter der meine gute Mutter
    sitzen blieb, und an den altbekannten Häusern vorbei die breite Gasse hinaus schritt, lag es mir wie ein Flor vor den Augen und wie ein Gewicht in der
    Kehle. Aus ihrem Fenster winkte die alte Lisabeth her, die Bauern standen
    vor ihren Misthaufen, der Lammwirt saß in Hemdärmeln in der Tür, und ich
    sah das alles an wie man ein hübsches Bildchen auf der letzten Seite eines zu 84
    Ende gelesenen Buches ansieht.
    In Calw erwartete mich mein Freund Renner, der mit mir wandern sollte,
    aber nur bis Mannheim, wo er schon eine Stelle angenommen hatte, natürlich
    durch seines Onkels Vermittlung. Der Meister gab mir fünf schöne Taler und
    auch Empfehlungen an Kollegen im Fränkischen und Hessischen, wo er vor
    Zeiten lang in Arbeit gestanden war. Dann ging er mit mir allein auf die
    Lehrbubenkammer, in der ich vier Jahre lang geschlafen hatte, und machte
    die Tür hinter uns zu. Er ließ sich meinen Ranzen zeigen, ob alles Nötige darin und ob es auch säuberlich gepackt sei. Dann legte er mir seine schwere Hand
    auf die Schulter und sah mir scharf mit seinen dunklen, strengen Augen ins
    Gesicht.
    Peter Bastian , sagte er feierlich,
    du bist bei mir nun fertig und ich habe
    dir einen guten Lehrbrief gegeben. Viel will ich dir nicht mehr dazu sagen. Du wirst bald selber sehen, wie die Menschen sind und auf was es ankommt und
    was einer draußen zu tun und zu lassen hat. Was du an Gottesfurcht hast
    und behalten willst, mußt du selber wissen. Ich warne dich aber vor dreierlei Dingen. Erstens vor der Landstreicherei und vor den Landstreichern, denn
    sie sind Faulpelze und Jugendverderber ohne Ausnahme. Zweitens vor den
    Weibern, will sagen vor den Mädlesgeschichten. Drittens und strengstens vor
    dem Wirtshaus. Du weißt was ich meine. Eine fröhliche Gesellschaft und ein
    Glas Bier in Ehren – ja! Aber nicht jeden Abend! Letztens will ich dir sagen, daß du jederzeit bei mir wieder Arbeit finden kannst an jedem Tag, da du
    bei mir vorsprechen wirst. Vergiß es nicht – es soll auch gelten, wenn es dir schlecht geht.
    Damit drückte er mir die Hand, daß ich es in allen Fingern spürte, und trat
    mit mir vors Haus, wo wir Abziehenden der Meisterin und den Gesellen die
    Hand gaben. Bei seinen Worten war mir feierlich und ängstlich zumut, doch
    dachte ich mir eigentlich nicht viel dabei. Später fielen sie mir oft wieder ein, und es war mir merkwürdig, wie wissend dieser Mann gewesen sein muß. Denn
    gerade die drei Dinge, vor denen er mich gewarnt hat, haben nachher mein
    Leben verändert und vielleicht verdorben.
    Und so zogen wir beide über Liebenzell, Reichenbach und Pforzheim in die
    Fremde. Wir sahen Berge, Hügel und Ebenen fern liegen und nah werden und
    wieder zurückbleiben, Städtchen und Dörfer aufsteigen und wieder fern wer-
    den. Otto verstand die Handwerksburschensprache nicht und ich nur einzelne
    Worte, manche Fechtbrüder redeten uns an und lachten uns aus, meistens aber
    gingen sie mit einem kurzen, schneidigen Servus an uns vorüber.
    Zum erstenmal in meinem Leben sah ich jetzt, was das Wandern ist, von
    dem ich mit so viel Begierde und Lust geträumt hatte. Fremde Straßen, frem-
    de Menschen, fremde Nachtlager in fremden Städten, Türme, Marktplätze,
    Brunnen und Rathäuser. Oft schwoll ich schier über vor großer Lust, wenn
    85
    wieder eine andere Stadt erreicht war. Im ganzen aber fand ich alles nicht
    halb so fremd, als ich gedacht hatte. Meine Meinung war gewesen, schon bald
    vor Calw draußen oder mindestens gegen Pforzheim hin sei alles anders als bei uns daheim, alles sei irgendwie fremd, merkwürdig und erstaunlich. In Wirklichkeit war es anders. Zwar machte Pforzheim als die erste größere Stadt,
    die ich zu Gesicht bekam, mir Eindruck, aber erst weit im Badischen drin
    fand ich dann allmählich etwas von jener Fremdheit, nicht daß die Häuser
    und Bäume andre

Weitere Kostenlose Bücher