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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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davon?
    Nein, eigentlich nicht. Das heißt, beim Ziegler bin ich früher manchmal in
    der Werkstatt gewesen. Aber er läßt mich nicht mehr.
    Da sagte Renner zu meiner großen Verwunderung:
    Du kannst ja zu mir
    kommen, wenn du magst.
    Zu dir?
    Jawohl. Der Schlosser Renner ist mein Onkel. Ich bin fast jeden Abend
    dort.
    Natürlich versprach ich zu kommen, sobald ich wieder gesund wäre. Am
    nächsten Tage kam er nochmals und brachte mir eine Orange mit, es war die
    erste in meinem Leben, die ich zu essen bekam. Bei diesem Besuch schloß ich
    mit ihm eine Freundschaft. Die Renners waren lauter ernsthafte, etwas lang-
    same, tüchtige, brave Menschen, und Otto hatte manche Besonderheiten. Er
    paßte gut zu mir, da er aber ohne Vater noch Mutter aufgewachsen und in
    vielem früh auf sich selber angewiesen gewesen war, hatte sein ganzes Wesen
    etwas vorzeitig Altes an sich. Er war wohl so leidenschaftlich wie ich, aber es 81
    ging bei ihm mehr nach innen, so daß er trotz seiner Gescheitheit und trotz
    seinen kräftigen Gliedern ein sehr stiller und beinah scheuer Knabe war. Mir erschien er schon damals wie ein Mann. Lesen liebte er wohl, aber weniger als ich; dafür war er ein sehr fleißiger Zeichner. Halbe Sonntage saß er am Tisch, einen Fetzen Papier vor sich, und zeichnete Doppelschlösser, Maschinenteile, Schrauben und Eisenkonstruktionen, wobei er nachdenklich die breite Stirn
    faltete und seufzte, wenn ein Hindernis entstand oder er eine Vorlage nicht
    ganz begriff. Die Vorlagen holte er aus der Abendschule im Zeichensaal. Auch ich wollte in die Abendschule eintreten, wurde aber nicht angenommen, weil
    ich noch zu jung sei. Nun begann ich bei ihm zeichnen zu lernen, und er war
    strenger als ein Schulmeister mit mir. Wenn er mich aber, wie es im Sommer
    manchmal geschah, des Sonntags nach Zavelstein begleitete und wir uns un-
    terwegs im Wald ins Moos legten, dann hörte er meine Erzählungen ernsthaft
    und andächtig an. In Zavelstein droben war er dann still und bescheiden und
    sah zu meiner Mutter hinauf, als wäre es seine eigene. Und ihr gefiel es, daß ich einen so ernsthaften, männlichen Freund mitbrachte. Als ich einmal meiner Mutter laut und heftig widersprach, sah Otto mich über den Tisch weg
    erschrocken und wehrend an und hörte auf dem ganzen Heimweg nicht auf,
    mir deswegen Vorwürfe zu machen.
    An ihm lag es auch, daß ich wieder häufiger zur Lisabeth kam. Die alte
    Frau fragte mich zuviel aus und ich hatte angefangen sie zu meiden. Nun
    bat er mich oft, wir möchten doch zu ihr gehen. So erfuhr sie denn auch bald mein Geheimnis, daß ich nämlich Schlosser werden wolle, und war nach einiger Widerrede ganz damit einverstanden. Mit dem Geheimnis hatte es nun aber
    ein Ende, denn natürlich lief sie damit gleich zu meiner Mutter. Vom Lehrer, von der Mutter und ihrer Base wurde mir jetzt arg zugesetzt, von meiner
    Unvernunft zu lassen und Kaufmann zu werden. Da ich hart blieb, hörte das
    Reden darüber auf, aber in der Lateinschule wurde ich gelassen. Dort hatte
    ich wenig Freude mehr. Seit ich von den Raufereien wegblieb, hatte ich in der Klasse keine Freunde mehr. Und als es sich herumsprach, ich wolle Schlosser
    werden, da begannen einige dieser Knaben mich zu verachten, deren Väter alle selber Handwerksleute waren. Dem Zieglerfritz, der mich darum verhöhnte,
    obwohl sein eigener Vater Schlosser war (er selber aber sollte studieren), gab ich einen so scharfen Denkzettel, daß er mich in Ruhe ließ. Und auf einmal ging die ganze Klasse und die ganze Schule mich nichts mehr an und ich lief fremd darin herum und es war mir an keinem gelegen, denn seit ich mit Otto umging
    und abends in die Rennersche Werkstatt kommen durfte, war ich unversehens
    aus den Kinderschuhen gewachsen und hatte auch an den Knabenspielen kein
    Vergnügen mehr.
    Doch war, wenn ich mit Renner ging oder bei ihm zuhause saß, nicht nur
    von der Schlosserei und vom Werkzeichnen die Rede. Sondern er hatte eine
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    heimliche Liebe zu Geschichten und noch mehr zu Liedern, die er selber we-
    der erzählen noch singen konnte. Ich mußte ihm oft Geschichten erzählen, und wenn wir durch den Zavelsteiner Wald oder durchs Teinacher Tal marschier-ten, bat er mich oft, ich möge etwas singen. Da ich ihm gerne den Gefallen
    tat und meine eigene Freude daran hatte, ist mir von damals her bis heute
    manches Dutzend Lieder im Kopf geblieben. Dabei freute ich mich immer mit
    unbestimmter Hoffnung auf die Zeit, da ich einmal als wandernder

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