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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Kollegen und auch sonst manche
    angenehme, hübsche Leute, eignete mir ein wenig von ihrer Sprache an und
    wurde in meinen Manieren geschmeidiger. Die Arbeit ging mir leicht von der
    Hand, das erste Heimweh war vorüber. Mit meinen Mitgesellen brachte ich
    viel lustige Sonntage zu, woran oft auch Frauenzimmer teilnahmen, denen ich
    mich jedoch fern hielt. Wäre ich nicht auf meiner ersten Wanderschaft und
    noch voll ungeduldiger Reiselust gewesen, so wäre ich wohl lange da geblieben.
    So aber trieb es mich weiter, und da mir der Sinn nach dem Rheinlande stand, beschloß ich über Mainz und Coblenz zu ziehen.
    Auf dieser schönen Tour, die wie ein langer, herrlicher Spaziergang gewesen
    ist, lernte ich eines Nachmittags den Hans Louis Quorm kennen. Er war sehr
    berühmt und ich hatte da und dort schon von ihm reden hören, nicht wie von
    einem Kollegen und Kameraden, sondern wie von einem Helden, den unserei-
    ner persönlich anzutreffen niemals Gelegenheit bekommt. Er war nicht bloß
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    durch die halbe Welt gewandert und kannte sich in Landschaften, Städten,
    Sprachen, Gewerben vieler Art aus, sondern er war auch ein kapitaler Kopf,
    konnte tausend Geschichten erzählen und war ein Dichter, von dem viele in den Herbergen oft gesungene Verse gedichtet waren. Dabei hatte er, der berühmte
    Landstreicher, mehrere unheimliche Begebenheiten hinter sich, war auch schon öftere Male gefangen gesessen und man wußte von ihm mehr Geschichten als
    vom Eulenspiegel.
    Eine Stunde vor Bingen rief er mich von hinten an und holte mich ein.
    Servus , sagte er.
    Wohin machst du?
    Nach Bingen , sage ich.
    Und weiter?
    Ich weiß noch nicht. Vielleicht nach Berlin.
    Zwischen hier und Berlin, Junge, ist manch Mokkum2 zwischen. Schlechte
    Gegend, da kannst du noch manchesmal blaupfeifen3.
    Ich verstand ihn nur halb. Da lachte er.
    Du bist ein ganz Grüner. Kennst die Sprache nicht? Na, wenn erst mal
    dein schöner neuer Ranzen alt sein wird –. Und mich kennst du natürlich auch nicht, Brüderchen?
    Nein , sagte ich schüchtern.
    Wer bist du?
    Hast du schon vom Hans Louis Quorm gehört?
    Natürlich hab ich. Warum fragst du?
    Weil ich der Quorm bin, mein Junge.
    Jetzt sah ich ihn erst genauer an. Ich hatte ihn mir anders vorgestellt und
    geglaubt, er werde ähnlich wie die meisten ältern Landstreicher aussehen. Er konnte etwa vierzig alt sein, hatte blasse, sauber rasierte Wangen und von der schmalen Oberlippe einen dünnen, langen Schnauzbart hängen. Seine Augen
    waren sehr schön. Große, lebhafte, braune Augen, die bis ins Herz blickten,
    und darüber eine sanfte, noble Stirn und dunkle, recht wohlgepflegte Haare.
    Sein Anzug war staubig, aber sehr anständig, irgendein Gepäck trug er nicht, nur einen festen weißdörnenen Stecken. Der alte breite Strohhut stand ihm
    gut zu Gesicht.
    Was hast du für eine Religion?
    fragte er.
    Katholisch , sagte ich, aber da lachte er wieder.
    Das Handwerk meine ich!
    Jaso. Ich bin Schlosser.
    Sein Sprechen und ganz besonders sein Lachen gefiel mir sehr, ich sah so-
    gleich, daß er kein roher Pennenbruder sei. Allmählich nahm er gegen mich
    2Stadt
    3hungern
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    eine fast väterliche Weise an. Und dann fragte er mich plötzlich:
    Wenn du
    Schwarzwälder bist, kannst du doch singen, nicht?
    Ich sagte
    Ja .
    Nun, so sing eins!
    Was für eins?
    Einerlei. Sing, was dich freut.
    Da faßte ich mir ein Herz, denn ich schämte mich ein wenig vor ihm, und
    sang das Lied, das mir seit Mannheim her am meisten im Sinne lag:
    Es ist bestimmt in Gottes Rat
    Daß man vom Liebsten, das man hat,
    Muß scheiden, ja scheiden.
    Hans Louis Quorm ging neben mir her und hörte ganz still zu, wobei er mich
    nicht ansah, sondern den Blick auf die gelb und braunen Weinberge richtete.
    Beim zweiten und dritten Vers aber sang er ganz leise mit einer schönen tiefen Stimme mit. Sodann fing ich ungefragt
    In einem kühlen Grunde
    an, und
    dann
    O Täler weit, o Höhen . Und er sang mit, alle Verse durch, zuletzt
    ebenso laut wie ich.
    Dann nach einer Weile fing er zu reden an. Zuerst von den Liedern.
    In diesen alten, guten Liedern steht mehr Weisheit drin, als in manchem
    Buch , sagte er. Und nun sprach er darüber weiter, mit schönen freundlichen
    Worten, so daß mir recht wohl und vergnügt zumute wurde. Er sprach vom
    Wandern, von der Fremde, vom Sommer und Winter auf der Landstraße so
    gut und klug, und so schön, daß es mir war, als wisse er um alle Träume meiner Knabenzeit. Kurz vor Bingen hielten wir am Wege

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