Die Erzaehlungen 1900-1906
Geselle
durch die Welt ziehen und in fernen fremden Gegenden meine Lieder singen
würde. Du lieber Gott, wie schön und verheißungsvoll lag diese Zeit vor mir, wie eine blanke Landstraße, die an unbekannten Städten und Herbergen vorbei
in alle Weite führt.
Unter solcherlei Gedanken saß ich den Rest meiner Schulzeit ab. Dann wur-
de ich entlassen und kämpfte den letzten Kampf mit meiner Mutter, bis sie
mich dem Schlosser Renner in die Lehre gab. Mein Freund Otto war schon
seit einem Jahr Lehrbub, nun arbeiteten und lernten wir zusammen. Der alte
Renner war ein strenger, aber guter Meister, und ich ließ mir bei ihm die Zeit nicht lang werden. Nach einer kurzen Handlangerzeit bekam ich meinen eigenen Schraubstock angewiesen, wurde beizeiten auch an die Drehbank und an
das Messing gelassen und durfte vom zweiten Jahre an mehrmals durch Re-
paraturen, die ich am Feierabend machte, mir ein kleines Sackgeld verdienen.
Ich schlief in einer Kammer mit Otto zusammen, neben der Gesellenstube,
vier lange, fröhliche Jahre hindurch.
Wer einen tüchtigen Meister gehabt hat, der tut nicht recht, sich über seine Lehrjahre zu beklagen. Wenn auch allerlei Ärger mit unterläuft, es sind doch schöne, ausgefüllte Jahre. Mir steht diese Zeit gar hell und lieb in der Erinnerung, da das Handwerk langsam und stetig seine Geheimnisse und Schwierig-
keiten vor mir auftat und ich allmählich auf meiner Hände Arbeit vertrauen
lernte. Es ist ein schönes Handwerk und gibt viel zu lernen, wovon ein Stu-
dierter sich nicht träumen läßt. Und wer nicht dazu geboren ist, der kommt
mit allem guten Willen nie ganz hinein. Mir ist manche Arbeit aus der Hand
gegangen, von der ich niemals mit Worten hätte sagen können, wie ich sie
gemacht habe. Das oder das soll gemacht werden, das fertige Bild davon steht vor der Einbildung, und nun wächst es mir unter den Händen zusammen. Ich
habe meine Freude an einem schönen Stück Werkzeugstahl, an einem frisch
gehärteten Meißel, an einer neuen Eisenstange, an einem fertigen Gußstück
oder Modell.
Der Meister war ebenso wie sein Bruderssohn und wie alle Rennerischen ein
kluger, ernsthafter und etwas schwerblütiger Mensch. Er arbeitete viel und
gern schwere Arbeit, aber sein Kopf war nicht weniger stark als seine Hände.
Er hat manches schwere Stück geschmiedet, das man sonst dem Schmied zu
machen gibt, und hat auch manches feine, genaue Werk geschaffen, das des
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besten Mechanikers würdig war. Dabei dachte er über die Bestimmung seiner
Arbeiten und über das Leben der Menschen, mit denen er zu tun hatte und
für die er arbeitete, nach und hatte für das innere Wesen der Leute eine feine, sichere Witterung. Auch über mich hörte ich ihn einmal mit seiner Frau reden.
Er ist ans rechte Handwerk gekommen , sagte er,
das für ihn paßt, und
er lernt gut. Daneben ist er aber ein Träumer und wird uns einmal Sorge
machen, wenn er erst Gesell ist und zu wandern kommt.
Mir selbst sagte er
dergleichen nie, sondern ließ mich nur mit Milde spüren, daß seine Hand über mir war. Sein Weib war fromm, las in der Bibel und im Gesangbuch und hatte
eine feierliche, jedoch gutmütige Art zu reden. Er ließ sie gewähren, ging aber seinen eigenen Weg und führte keine Verslein im Munde.
Mein Freund Otto Renner stand mir an der Werkbank treulich bei. Daneben
gingen wir in die Abendschule, zeichneten und lasen, und stiegen des Sonntags auf die Berge, bald nach Zavelstein, bald nach Altburg, Hengstett oder Bulach.
Mit den Gesellen gingen wir beinahe nie, nur wenige Male nötigten sie uns
Sonntagabends mit in eine Wirtschaft. Ich ging ganz gerne mit, denn es schien mir einem braven Schlosser wohl anzustehen, daß er am Wirtstisch mitrede
und ein paar Glas Bier vertragen könne. Renner aber schüttelte dazu den
großen Kopf und ging nur widerwillig mit. Er arbeitete damals schon an seinem Gesellenstück.
So gern ich mich an jene Jahre in Calw auch erinnere – zu erzählen ist wenig davon. Wenn ein Mensch durch Arbeit und durch Freundschaft glücklich sein
kann, so bin ich es damals gewesen. Es war die Zeit, die einen guten Grund
in mir gelegt hat, auf dem ich hätte weiter aufbauen sollen. Und das wollte
ich auch. Aber wer tut, was er soll und will? Wer weiß, was in Wirklichkeit
das Gute ist? Und wer weiß auch nur genau um das, was er nicht bloß in der
Einbildung, sondern tatsächlich will und begehrt?
An einem schönen Tag im Frühjahr stieg ich nach
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