Die Erzaehlungen 1900-1906
Gesichter gehabt hätten, aber die Leute redeten anders,
aßen und tranken anders, und sahen uns als Fremde an, lachten über unsre
Mundart und fragten, woher wir kämen. Und das ist überhaupt eigentlich
die
Fremde : nicht daß man lauter neue und unbekannte Sachen und Men-
schen um sich hat, sondern daß man selbst überall, wohin man kommt, ein
Fremder ist, Lachen oder Verwunderung erweckt, und von den anderen nicht
ohne weiteres zugelassen und aufgenommen wird. Zunächst mißfiel mir dort
im Badischen das Fremde sehr, ich fand die Sprache der Leute komisch und
ihre Manieren geschleckt, sie schienen mir vor allem stolz und eingebildet, und erst viel später merkte ich, daß das überall in der Welt gleich ist, und erinnerte mich, daß wir daheim in Zavelstein einen durchwandernden Fremden mit
ungewohnter Kleidung oder Mundart genau so beobachtend, neugierig, miß-
trauisch und ein wenig verächtlich angesehen hatten. Wir trafen im Badischen auf gute Herbergen und wurden freundlich behandelt. Nun, wir durften uns
auch sehen lassen, zwei stattliche Burschen vom besten Schwarzwälder Schlag, hochgewachsen und stark wie Holländerbaumstämme. Die Kameradengesell-schaft gefiel mir nicht gerade sehr gut, und dem Otto gefiel sie noch weniger.
Sie hatten fast alle große Mäuler und schimpften über alles, vom letzten Meister, den sie gehabt, bis zum Bett, in dem sie lagen, und dem Brot, das sie
kauten. Und wenn ich abends einmal meinte, ob wir nicht eins singen wollten, dann sangen sie komische neumodische Lieder, die ich nicht kannte, und von
den alten kannten sie bloß den ersten Vers und dann nach derselben Melodie
allerlei selbsterfundene, vertrackte oder unanständige Sachen. Es waren auch einige echte Landstreicher unter ihnen, darunter einer, der sich Schlumberger nannte und sämtliche Wirtshäuser zwischen Köln und Basel zu kennen schien.
Das waren meist ältere, wunderlich aussehende Kumpane, trugen große Bärte
oder hatten Schnapsnasen und Glatzen, sprachen ein glattes, absonderliches
Rotwelsch und sahen uns junges Volk über die Achseln an. Wir hielten uns
fern von ihnen.
Mannheim schien mir eine ungeheuer große Stadt zu sein. Ich ging mit Otto
zu seinem neuen Meister, lang brauchten wir, bis wir das Haus endlich fanden, der Meister behielt mich zum Mittagsbrot mit da. Darauf packte Renner den
Tornister aus und wir liefen den Nachmittag in der Stadt herum. Die schönen
geraden Straßen und die neuen hohen Häuser, selbst die schönen blanken Equi-
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pagen und Pferde der reichen Juden waren uns aber nicht sehr wichtig, denn
uns beiden lag der Abschied wie ein großes Unglück in der Seele. Wir machten aus, daß wir einander öfters schreiben und später, sobald es sich machen ließ, einmal uns zusammen am selben Ort einstellen lassen wollten, am liebsten in
einer großen Maschinenfabrik. Dann redeten wir von Calw und Zavelstein, vom
Meister Renner und seiner Frau, von meiner Mutter und von der Lisabeth, die
alle schon so weit in der Ferne und Vergangenheit zu sein schienen. Dabei trat mir das alles nochmals deutlich vor die Seele, die ganze Heimat, und daß ich von heute an allein sein und niemand mehr haben werde, der mit mir darüber
redete. Zugleich mußte ich an die ganze Zeit unsrer Freundschaft denken von
dem Tage an, da Renner mich besiegt und mich dann im Krankenbett besucht
und mir eine Orange geschenkt hatte. Es kam mir unglaublich vor, daß alles
das jetzt ein Ende nehmen und ich mutterseelenallein davonziehen sollte.
Schließlich gaben wir einander die Hand und sahen uns die ganze Straße
hindurch noch oft nacheinander um, bis eine Ecke kam und ich zum erstenmal
allein auf der Welt stand. Ich wanderte noch denselben Abend aus der Stadt.
Auf dieser meiner ersten Reise begegnete mir nichts von großer Wichtig-
keit, außer daß ich eine merkwürdige und für mich bedeutsame Bekanntschaft
machte. Auch lernte ich das Leben auf der Landstraße kennen und fand nach
einiger Zeit großen Gefallen daran. Eigentlich wollte ich mindestens nach Berlin, doch reiste ich ohne strengen Plan und ließ mich vom Augenblick bestim-
men. Die erste Arbeit nahm ich in Darmstadt, wo ich zehn Wochen blieb.
Doch zog es mich damals noch, da ich ein unerfahrener Muttersohn war, vor-
nehmlich in die großen berühmten Städte. Darum ging ich bald nach Frankfurt
und blieb drei Monate dort in Arbeit. Die Stadt und das Frankfurter Leben
gefiel mir vorzüglich, ich fand dort unter
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