Die Erzaehlungen 1900-1906
heimkehren, die Pforte ver-
schließen und sein Schlafzimmer aufsuchen. Dann lag ich die ganze Nacht,
ohne schlafen zu können, seufzend und unruhig in meinem Bett. Ich suchte
mich des Aussehens der Dame genau zu erinnern, ihrer Augen, Haare und
Lippen, ihrer Hände und Finger und jedes Wortes, das sie gesprochen hatte.
Ich flüsterte ihren Namen Isabella mehr als hundertmal zärtlich und traurig
vor mich hin, und es war ein Wunder, daß niemand am folgenden Tage mein
verstörtes Aussehen bemerkte. Den ganzen Tag wußte ich nichts anderes zu
tun, als mich auf Listen und Mittel zu besinnen, um die Dame wiederzusehen
und womöglich irgendeine Freundlichkeit von ihr zu erlangen. Natürlich quälte ich mich vergeblich, ich hatte keine Erfahrung, und in der Liebe beginnt ein jeder, auch der Glücklichste, notwendig mit einer Niederlage.
Einen Tag später wagte ich es, zu jenem Landhaus hinüberzugehen, was
ich sehr leicht heimlich tun konnte, denn es lag nahe am Wald. Am Rande
des Waldes verbarg ich mich behutsam und spähte mehrere Stunden lang
hinüber, ohne etwas anderes zu Gesicht zu bekommen als einen trägen, feisten Pfau, eine singende Magd und einen Flug weißer Tauben. Und nun lief ich
jeden lieben Tag dorthin, hatte auch zwei- oder dreimal das Vergnügen, Donna Isabella im Garten lustwandeln oder an einem Fenster stehen zu sehen.
Allmählich wurde ich kühner und drang mehrmals bis in den Garten vor,
dessen Tor fast immer geöffnet und durch hohe Gebüsche geschützt war. Unter
diesen versteckte ich mich so, daß ich mehrere Wege überschauen konnte, mich auch ganz nahe bei einem kleinen Lusthäuschen befand, worin Isabella sich
am Vormittag gerne aufhielt. Dort stand ich halbe Tage, ohne Hunger oder
Ermattung zu fühlen, und zitterte jedesmal vor Wonne und Angst, sobald ich
die schöne Frau zu sehen bekam.
Eines Tages war mir im Wald der Bolognese begegnet, und ich lief mit dop-
pelter Freude an meinen Posten, da ich ihn nicht zu Hause wußte. Aus demsel-
ben Grunde wagte ich mich diesmal auch weiter als sonst in den Garten und
verbarg mich dicht neben jenem Pavillon in einem dunklen Lorbeergebüsch.
Da ich im Innern Geräusche vernahm, wußte ich, daß Isabella zugegen war.
Einmal glaubte ich auch ihre Stimme zu hören, jedoch so leise, daß ich dessen nicht sicher war. Geduldig wartete ich in meinem mühseligen Hinterhalt, bis
ich sie zu Gesicht bekäme, und war zugleich beständig in Furcht, ihr Gatte
möchte heimkehren und mich zufällig entdecken. Das mir zugewendete Fen-
ster des Lusthäuschens war zu meinem großen Bedauern und Ärger mit einem
blauen Vorhang aus Seide verhangen, so daß ich nicht hineinsehen konnte.
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Dagegen beruhigte es mich ein wenig, daß ich an dieser Stelle von der Villa
her nicht gesehen werden konnte.
Nachdem ich länger als eine Stunde gewartet hatte, schien es mir, als finge
der blaue Vorhang an, sich zu bewegen, wie wenn jemand dahinter stände und
durch die Ritze in den Garten hinauszuspähen versuchte. Ich hielt mich gut
verborgen und wartete in größter Erregung, was nun geschehen würde, denn
ich war keine drei Schritt von jenem Fenster entfernt. Der Schweiß lief mir
über die Stirn, und mein Herz pochte so stark, daß ich fürchtete, man könne
es hören.
Was sich nun begab, traf mich schlimmer als ein Pfeilschuß in mein uner-
fahrenes Herz. Der Vorhang flog mit einem heftigen Ruck beiseite, und blitz-
schnell, aber ganz leise, sprang ein Mann aus dem Fenster. Kaum hatte ich
mich von meiner namenlosen Bestürzung erholt, so fiel ich schon in eine neue; denn im nächsten Augenblick erkannte ich in dem kühnen Manne meinen
Feind und Vetter. Wie ein Wetterleuchten kam plötzlich das Verständnis über
mich. Ich zitterte vor Wut und Eifersucht und war nahe daran, aufzuspringen
und mich auf ihn zu stürzen.
Alvise hatte sich vom Boden aufgerichtet, lächelte und schaute vorsichtig
um sich her. Gleich darauf trat Isabella, die den Pavillon vorn durch die Tür verlassen hatte, um die Ecke und auf ihn zu, lachte ihn an und flüsterte leise und zärtlich:
Geh nun, Alvise, geh! Addio!
Zugleich bog sie sich ihm entgegen, er umfaßte sie und drückte seinen Mund
auf den ihren. Sie küßten sich nur ein einziges Mal, aber so lang und begierig und glühend, daß mein Herz in dieser Minute wohl tausend Schläge tat. Nie
hatte ich die Leidenschaft, die ich bis dahin eigentlich nur aus Versen und
Erzählungen kannte, aus solcher
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