Die Erzaehlungen 1900-1906
jagen, Fechten und Spielen, in artibus vivendi et amandi zum
Vorbild diente. Er bewegte sich noch immer leicht und fast jugendlich, war
schön und kräftig gewachsen und hat bald nach jener Zeit zum zweitenmal
geheiratet.
Der Vetter, der Alvise hieß, war damals dreiundzwanzigjährig und, wie ich
gestehen muß, ein schöner junger Mann. Nicht nur war er schlank und gut
gebaut, trug schöne lange Locken und hatte ein frisches, rotwangiges Gesicht, sondern er bewegte sich auch mit Eleganz und Anmut, war ein brauchbarer
Plauderer und Sänger, tanzte recht gut und genoß schon damals den Ruf eines
der beneidetsten Frauengünstlinge unserer Gegend. Daß wir einander durch-
aus nicht leiden mochten, hatte seine guten Ursachen. Er behandelte mich
hochmütig oder mit einem unleidlich ironischen Wohlwollen, und da mein Ver-
stand über meine Jahre entwickelt war, beleidigte mich diese geringschätzige Art, mit mir umzugehen, fortwährend aufs bitterste. Auch hatte ich als ein
guter Beobachter manche seiner Intrigen und Heimlichkeiten entdeckt, was
natürlich wiederum ihm recht unlieb war. Einigemal versuchte er mich durch
ein geheuchelt freundschaftliches Benehmen zu gewinnen, doch ging ich nicht
darauf ein. Wäre ich ein klein wenig älter und klüger gewesen, so hätte ich
ihn durch verdoppelte Artigkeit eingefangen und bei guter Gelegenheit zu Fall gebracht – erfolgreiche und verwöhnte Leute sind ja so leicht zu täuschen! So aber war ich zwar erwachsen genug, um ihn zu hassen, aber noch zu sehr
Kind, um andere Waffen als Sprödigkeit und Trotz zu kennen, und statt ihm
seine Pfeile zierlich vergiftet wieder zuzuwerfen, trieb ich sie mir durch meine machtlose Entrüstung nur selber noch tiefer ins Fleisch. Mein Vater, dem unsere gegenseitige Abneigung natürlich nicht verborgen geblieben war, lachte
dazu und neckte uns damit. Er hatte den schönen und eleganten Alvise gern
und ließ sich durch mein feindliches Verhalten nicht daran hindern, ihn häufig einzuladen.
So lebten wir auch jenen Sommer zusammen. Unser Landhaus lag schön am
Hügel und blickte über Weinberge hinweg gegen die entfernte Ebene. Erbaut
wurde es, soviel ich weiß, von einem unter der Herrschaft der Albizzi verbannten Florentiner. Ein hübscher Garten lag darum her; mein Vater hatte rund
um ihn eine neue Mauer errichten lassen, und sein Wappen war auf dem Por-
tal in Stein ausgehauen, während über der Tür des Hauses noch immer das
Wappen des ersten Besitzers hing, das aus einem brüchigen Stein gearbeitet
und kaum mehr kenntlich war. Weiter gegen das Gebirge hinein gab es eine
sehr gute Jagd; dort ging oder ritt ich fast alle Tage umher, sei es allein oder mit meinem Vater, der mich damals in der Falkenbeize unterrichtete.
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Wie gesagt, ich war beinah noch ein Knabe. Aber doch war ich keiner mehr,
sondern stand mitten in jener kurzen, sonderbaren Zeit, da zwischen der verlo-renen Kindesheiterkeit und der noch unerfüllten Mannbarkeit die jungen Leu-
te wie zwischen zwei verschlossenen Gärten auf einer heißen Straße wandeln,
lüstern ohne Grund, traurig ohne Grund. Natürlich schrieb ich eine Menge
Terzinen und dergleichen, war aber noch nie in etwas anderes als in poetische Traumbilder verliebt gewesen, obwohl ich vor Sehnsucht nach einer wirklichen Liebe zu sterben meinte. So lief ich in einem beständigen Fieber herum, liebte die Einsamkeit und kam mir unsäglich unglücklich vor. Es verdoppelte meine
Leiden der Umstand, daß ich sie sorgfältig verborgen halten mußte. Denn we-
der mein Vater noch der verhaßte Alvise hätten mich, wie ich genau wußte,
mit ihrem Spott verschont. Auch meine schönen Gedichte verbarg ich vor-
sorglicher als ein Geizhals seine Dukaten, und wenn mir die Truhe nicht mehr sicher genug erscheinen wollte, trug ich die Kapsel mit den Papieren in den
Wald und vergrub sie dort, schaute aber jeden Tag nach, ob sie noch da sei.
Bei einem solchen Schatzgräbergang sah ich einst zufällig meinen Vetter am
Rande des Waldes stehen. Ich schlug sogleich eine andere Richtung ein, da er mich noch nicht gesehen hatte, behielt ihn aber im Auge; denn ich hatte mir
ebensosehr aus Neugierde wie aus Feindschaft angewöhnt, ihn beständig zu
beobachten. Nach einiger Zeit sah ich aus den Feldern eine junge Magd, die
zu unserm Haushalt gehörte, hervorkommen und sich dem wartenden Alvise
nähern. Er schlang den Arm um ihre Hüfte, drückte sie an sich und verschwand so mit ihr im Wald.
Da
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