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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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jagen, Fechten und Spielen, in artibus vivendi et amandi zum
    Vorbild diente. Er bewegte sich noch immer leicht und fast jugendlich, war
    schön und kräftig gewachsen und hat bald nach jener Zeit zum zweitenmal
    geheiratet.
    Der Vetter, der Alvise hieß, war damals dreiundzwanzigjährig und, wie ich
    gestehen muß, ein schöner junger Mann. Nicht nur war er schlank und gut
    gebaut, trug schöne lange Locken und hatte ein frisches, rotwangiges Gesicht, sondern er bewegte sich auch mit Eleganz und Anmut, war ein brauchbarer
    Plauderer und Sänger, tanzte recht gut und genoß schon damals den Ruf eines
    der beneidetsten Frauengünstlinge unserer Gegend. Daß wir einander durch-
    aus nicht leiden mochten, hatte seine guten Ursachen. Er behandelte mich
    hochmütig oder mit einem unleidlich ironischen Wohlwollen, und da mein Ver-
    stand über meine Jahre entwickelt war, beleidigte mich diese geringschätzige Art, mit mir umzugehen, fortwährend aufs bitterste. Auch hatte ich als ein
    guter Beobachter manche seiner Intrigen und Heimlichkeiten entdeckt, was
    natürlich wiederum ihm recht unlieb war. Einigemal versuchte er mich durch
    ein geheuchelt freundschaftliches Benehmen zu gewinnen, doch ging ich nicht
    darauf ein. Wäre ich ein klein wenig älter und klüger gewesen, so hätte ich
    ihn durch verdoppelte Artigkeit eingefangen und bei guter Gelegenheit zu Fall gebracht – erfolgreiche und verwöhnte Leute sind ja so leicht zu täuschen! So aber war ich zwar erwachsen genug, um ihn zu hassen, aber noch zu sehr
    Kind, um andere Waffen als Sprödigkeit und Trotz zu kennen, und statt ihm
    seine Pfeile zierlich vergiftet wieder zuzuwerfen, trieb ich sie mir durch meine machtlose Entrüstung nur selber noch tiefer ins Fleisch. Mein Vater, dem unsere gegenseitige Abneigung natürlich nicht verborgen geblieben war, lachte
    dazu und neckte uns damit. Er hatte den schönen und eleganten Alvise gern
    und ließ sich durch mein feindliches Verhalten nicht daran hindern, ihn häufig einzuladen.
    So lebten wir auch jenen Sommer zusammen. Unser Landhaus lag schön am
    Hügel und blickte über Weinberge hinweg gegen die entfernte Ebene. Erbaut
    wurde es, soviel ich weiß, von einem unter der Herrschaft der Albizzi verbannten Florentiner. Ein hübscher Garten lag darum her; mein Vater hatte rund
    um ihn eine neue Mauer errichten lassen, und sein Wappen war auf dem Por-
    tal in Stein ausgehauen, während über der Tür des Hauses noch immer das
    Wappen des ersten Besitzers hing, das aus einem brüchigen Stein gearbeitet
    und kaum mehr kenntlich war. Weiter gegen das Gebirge hinein gab es eine
    sehr gute Jagd; dort ging oder ritt ich fast alle Tage umher, sei es allein oder mit meinem Vater, der mich damals in der Falkenbeize unterrichtete.
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    Wie gesagt, ich war beinah noch ein Knabe. Aber doch war ich keiner mehr,
    sondern stand mitten in jener kurzen, sonderbaren Zeit, da zwischen der verlo-renen Kindesheiterkeit und der noch unerfüllten Mannbarkeit die jungen Leu-
    te wie zwischen zwei verschlossenen Gärten auf einer heißen Straße wandeln,
    lüstern ohne Grund, traurig ohne Grund. Natürlich schrieb ich eine Menge
    Terzinen und dergleichen, war aber noch nie in etwas anderes als in poetische Traumbilder verliebt gewesen, obwohl ich vor Sehnsucht nach einer wirklichen Liebe zu sterben meinte. So lief ich in einem beständigen Fieber herum, liebte die Einsamkeit und kam mir unsäglich unglücklich vor. Es verdoppelte meine
    Leiden der Umstand, daß ich sie sorgfältig verborgen halten mußte. Denn we-
    der mein Vater noch der verhaßte Alvise hätten mich, wie ich genau wußte,
    mit ihrem Spott verschont. Auch meine schönen Gedichte verbarg ich vor-
    sorglicher als ein Geizhals seine Dukaten, und wenn mir die Truhe nicht mehr sicher genug erscheinen wollte, trug ich die Kapsel mit den Papieren in den
    Wald und vergrub sie dort, schaute aber jeden Tag nach, ob sie noch da sei.
    Bei einem solchen Schatzgräbergang sah ich einst zufällig meinen Vetter am
    Rande des Waldes stehen. Ich schlug sogleich eine andere Richtung ein, da er mich noch nicht gesehen hatte, behielt ihn aber im Auge; denn ich hatte mir
    ebensosehr aus Neugierde wie aus Feindschaft angewöhnt, ihn beständig zu
    beobachten. Nach einiger Zeit sah ich aus den Feldern eine junge Magd, die
    zu unserm Haushalt gehörte, hervorkommen und sich dem wartenden Alvise
    nähern. Er schlang den Arm um ihre Hüfte, drückte sie an sich und verschwand so mit ihr im Wald.
    Da

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