Die Erzaehlungen 1900-1906
erfaßte mich ein gewisses Fieber und zugleich ein glühender Neid gegen
den älteren Vetter, den ich Früchte pflücken sah, die für mich noch zu hoch
hingen. Bei der Abendmahlzeit faßte ich ihn scharf ins Auge, denn ich glaubte, man müsse es irgendwie seinen Augen oder seinen Lippen ansehen, daß er
geküßt und Liebe genossen hatte. Er sah jedoch aus wie sonst und war auch
ebenso heiter und gesprächig. Von da an konnte ich weder jene Magd noch
Alvise ansehen, ohne einen lüsternen Schauder zu spüren, der mir ebenso wohl wie wehe tat.
Um diese Zeit – es ging gegen den Hochsommer – brachte eines Tages mein
Vetter die Nachricht, wir hätten Nachbarn bekommen. Ein reicher Herr aus
Bologna mit seiner schönen jungen Frau, die Alvise beide schon seit längerer Zeit kannte, hatten ihr Landhaus bezogen, das keine halbe Stunde von unserm
entfernt und etwas tiefer am Berge lag.
Dieser Herr war auch mit meinem Vater bekannt, und ich glaube, er war so-
gar ein entfernter Verwandter meiner verstorbenen Mutter, die aus dem Hause
der Pepoli stammte; doch weiß ich dies nicht gewiß. Sein Haus in Bologna stand nahe beim Collegio di Spagna. Das Landhaus aber war ein Besitztum seiner
Frau. Sie und er und auch schon ihre drei Kinder, von denen damals noch
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keines geboren war, sind nun alle gestorben, wie denn außer mir von allen den damals Versammelten nur noch mein Vetter Alvise am Leben ist, und auch
er und ich sind jetzt Greise, ohne daß wir uns freilich deshalb lieber geworden wären.
Schon am folgenden Tage begegneten wir auf einem Ausritt jenem Bolo-
gnesen. Wir begrüßten ihn, und mein Vater forderte ihn auf, er möge ihn,
samt seiner Frau, in Bälde besuchen. Der Herr schien mir nicht älter als mein Vater zu sein; doch ging es nicht an, diese beiden Männer miteinander zu
vergleichen, denn mein Vater war groß und von edelstem Wuchse, jener aber
klein und unschön. Er erwies meinem Vater alle Artigkeit, sagte auch zu mir
einige Worte und versprach, er wolle uns am nächsten Tage besuchen, worauf
mein Vater ihn sogleich aufs freundlichste zu Tische lud. Der Nachbar dankte, und wir schieden mit vielen Komplimenten und in der größten Zufriedenheit
voneinander.
Tags darauf ließ mein Vater ein gutes Mahl bestellen und auch, der frem-
den Dame zu Ehren, einen Blumenkranz auf den Tisch legen. Wir erwarteten
unsere Gäste in großer Freude und Spannung, und als sie ankamen, ging mein
Vater ihnen bis unter das Tor entgegen und hob die Dame selber vom Pferd.
Wir setzten uns darauf alle fröhlich zu Tisch, und ich bewunderte während der Mahlzeit Alvise noch mehr als meinen Vater. Er wußte den Fremden, zumal
der Dame, so viele drollige schmeichelhafte und ergötzliche Dinge zu sagen,
daß alle vergnügt wurden und das Gespräch und Gelächter keinen Augenblick
stockte. Bei diesem Anlaß nahm ich mir vor, diese wertvolle Kunst auch zu
lernen.
Am meisten aber beschäftigte mich der Anblick der jungen Edeldame. Sie
war ausnehmend schön, groß und schlank, prächtig gekleidet, und ihre Bewe-
gungen waren natürlich und reizend. Genau erinnere ich mich, daß sie an ihrer mir zugewendeten linken Hand drei Goldringe mit großen Steinen und am Hals
ein dreifaches goldenes Kettchen mit Platten von florentinischer Arbeit trug.
Als das Mahl sich zu Ende neigte und ich sie genugsam betrachtet hatte, war
auch ich schon zum Sterben in sie verliebt und empfand zum erstenmal die-
se süße und verderbliche Leidenschaft, von der ich schon viel geträumt und
gedichtet hatte, in aller Wirklichkeit.
Nach aufgehobener Tafel ruhten wir alle eine Weile aus. Alsdann begaben
wir uns in den Garten, saßen daselbst im Schatten und ergötzten uns an
mancherlei Gesprächen, wobei ich eine lateinische Ode hersagte und ein wenig Lob erntete. Am Abend speisten wir in der Loggia, und als es anfing dunkler
zu werden, machten sich die Gäste auf den Heimweg. Ich erbot mich sogleich,
sie zu begleiten; aber Alvise hatte schon sein Pferd vorführen lassen. Man
verabschiedete sich, die drei Pferde setzten sich in Schritt, und ich hatte das Nachsehen.
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An jenem Abend und in jener Nacht hatte ich denn zum erstenmal Gelegen-
heit, etwas vom Wesen der Liebe zu erfahren. So hochbeglückt ich den ganzen
Tag beim Anblick der Dame gewesen war, so elend und untröstlich wurde ich
von der Stunde an, da sie unser Haus wieder verlassen hatte. Mit Schmerz
und Neid hörte ich nach einer Stunde den Vetter
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