Die Erzaehlungen 1900-1906
ihnen Pfadfinder, der zweite Falkenauge und der dritte
Waldläufer hieß. Von den vier Talern waren drei Batzen für eine Blechpistole und sieben für ein grausam langes Sackmesser ausgegeben worden, der Rest
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fand sich unversehrt vor und nur der Verbleib des Zuckerhutes blieb ein Rätsel.
Diesen ganzen Tag lief Karl Eugens Mutter in Spannung umher, und als
bis zum Abendessen noch nichts geschehen war, ging sie zum Vater in den
Laden hinunter.
Eh’ der Kleine seine Prügel nicht hat, kriegt er auch nix
zu essen , sagte sie mit Nachdruck, und der Gatte sah ein, daß es Pflichten
gibt, denen niemand sich entziehen kann, und Weltgesetze, denen wir wider-
standslos unterliegen. Gleich darauf machte das Söhnchen dieselbe Erfahrung; während jedoch der Vater sich mit Seufzen begnügte, ließ jener nach Art der
Jugend seinen Gefühlen und Tränen freien Lauf, ja erhob ein so erschütterndes Wehegeschrei, daß der Züchtiger schon nach wenigen Streichen innehielt und
froh war, als Karl Eugen nur wieder aufstand und sich zum Essen bewegen
ließ.
Dieses Abenteuer hatte zur Folge, daß in der Lateinschule über dreißig In-
dianerbücher konfisziert wurden, daß die drei Amerikaner zuerst vom Klas-
senlehrer eine angemessene Strafpredigt samt Arrest zugeteilt erhielten und
dann noch dem schonungslosen Spott der Schulkameraden anheimfielen, und
daß der kleine Eiselein für eine Weile in sich ging und mehrere Wochen lang
ein Musterschüler war. Allmählich wurden die kassierten Bücher durch neue
ersetzt, die Strafrede und der Arrest verschmerzt, auch der Musterschüler verschwand wieder wie ein Nebelbild und nur der Schülerspott hielt noch lange
Zeit vor.
Es kamen die Jahre heran, in welchen es sich zu zeigen pflegt, ob ein Schüler Lust und Beruf zu den höheren Studien habe oder ob es geratener sei, ihn sein Latein in einem Kaufladen oder in einer Schreibstube vergessen zu lassen.
Beim jungen Eiselein war es unzweifelhaft, daß er zu ersterem bestimmt sei.
Seine Hefte waren sauber und wiesen gute Zeugnisse auf, seine Aufsätze hatten Schwung und Feuer, ebenso seine Deklamationen, und bei der Entlassungsfei-er der obersten Klasse trug er, nun fünfzehnjährig, eine selbstgefertigte Rede vor, bei der dem Rektor ein Schmunzeln auf die Lippen und dem andächtig
zuhörenden Kolonialwarenhändler eine Träne ins Vaterauge trat. Es war be-
schlossen, ihn in die Residenz auf das Gymnasium zu tun.
Vorher waren noch ein paar Wochen Ferien, und in dieser Zeit legte Karl
Eugen die ersten Zeugnisse seiner Dichterbegabung ab. Es fand nämlich der
Geburtstag einer Großtante statt, die Familie Eiselein war eingeladen, und
beim Kaffee trat der Jüngling mit einem Gedicht hervor, dessen Schönheit
und Länge die ganze Festgesellschaft in Erstaunen setzte. Seinem Vater gab
der Bengel auf Befragen zur Antwort, er habe schon seit einem Jahr oder
noch länger eine Masse Gedichte gemacht und wisse schon längst, daß er zum
Dichter und nur zum Dichter geboren sei. Dies hörte der überraschte Papa
mit ebensoviel Befremdung als Stolz. Denn wenn er auch nie an den außer-
ordentlichen Gaben seines Sohnes gezweifelt hatte, so war doch dieser frühe
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und kühne Flug des jungen Adlers ihm eigentümlich überraschend. Teils um
ihn zu belohnen, teils vielleicht auch um ihn in gute Bahnen zu lenken, kaufte und schenkte er dem Jungen Theodor Körners Werke in rotes Leinen gebunden und eine ebenfalls schön gebundene, jedoch im Preis herabgesetzte ältere Lebensbeschreibung Gotthold Ephraim Lessings.
Um die Zeit dieser Ereignisse hatte der inzwischen auch schon konfirmierte
Karl Eugen das Äußere eines Knaben vollkommen abgelegt, Pausbacken so-
wohl wie kurze Hosen, und sich in einen schlanken, stillen und wohlgekleideten Jüngling verwandelt, der etwas auf sich hielt und jedem, der ihn etwa noch
als Bub zu behandeln und mit Du anzureden wagte, eine ironische Haltung
entgegenzusetzen wußte, deren Wirkung, obwohl er selbst sie überschätzte,
nicht zu leugnen war. Seine Schuhe waren stets blank, sein Gang gemessen,
sein Scheitel glatt und gepflegt. Das hauptstädtische Gymnasium würde sich
seiner nicht zu schämen brauchen. Vorwegnehmend drang er auch schon in
den Ferien tief in die homerische Welt ein und las die halbe Odyssee, aller-
dings in der Vossischen Übersetzung. Er hätte sie ganz gelesen, wenn nicht
der rotleinene Körner dazwischen gekommen wäre.
Die Ferienzeit erreichte ihr Ende,
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