Die Erzaehlungen 1900-1906
allmählich in das Alter trat, wo die Erzeuger an ihren Sprößlingen eine gewisse Freude zu erleben wünschen. Daran ließ es denn der Knabe auch
nicht fehlen; es zeigte sich, daß er nicht zu den Dummen gehöre und wohl einer höhern Ausbildung fähig sei.
Herr Eiselein war sehr glücklich. Ihm selbst waren die Gefilde der klassi-
schen Bildung zu seinem Schmerze unerschlossen geblieben; desto sehnlicher
wünschte er, seinen Sohn in dieser fremden Welt sich tummeln zu sehen. Erleg-te daher eines Tages seinen Festrock, gestickte Weste und reinen Hemdkragen
an, strich dem Knäblein zärtlich über den glatten blonden Scheitel und führte es zur Lateinschule, wo er es der Obhut des Kollaborators Wurster übergab.
Von da an ging der junge Karl Eugen den gewohnten Weg eines Gerbersau-
er Lateiners. Ein Jahr lang regierte ihn der Kollaborator Wurster, ein sanft lächelnder Mann mit altmodischen Löcklein und engen Hosen; dann gab ihn
dieser an den Präzeptor Dilger weiter, einen feisten Wüterich mit langem
Meerrohr und furchtbarer Stirnrunzel, und wieder nach einem Jahr übernahm
ihn Doktor Müller, ein eleganter Stutzer von feinen Manieren.
Der Bub erwies sich als gescheit und kam glatt von einer Klasse in die ande-
re. Nicht so glatt und tadellos ging er aus manchen langwierigen Affären und Untersuchungen hervor, welche Apfeldiebstähle, Unehrerbietigkeiten gegen die Lehrer, Schulschwänzereien und schlechtes Betragen beim Kirchenbesuch zum
Gegenstand hatten. Zwar verstand er die Kunst, sich hinter andere zu bergen
und einleuchtende mildernde Umstände beizubringen, vortrefflich; trotzdem
verbüßte er manchen Mittwochnachmittag im Klassenarrest und kam oft ge-
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nug geprügelt und gescholten und jammervoll nach Hause, wo der Vater ihn
mit Trost und Teilnahme empfing und jedesmal schnell wieder einer freundli-
cheren Betrachtung des Lebens entgegenführte.
Nichtsdestoweniger war Karl Eugen Eiselein in seinem elften Lebensjahr ei-
nes Tages spurlos verschwunden, samt vier Talern aus seines Vaters Ladenkas-
se, einem halben Zuckerhut und zwei Schulkameraden, deren bestürzte Eltern
ihre Klagen mit denen des Kolonialwarenhändlers vereinigten.
Als die Knaben gegen Abend noch immer fehlten, wurden nach allen Seiten
Boten ausgesandt, der ganze Fluß ward mit Stangen abgestochen und bei
jedem Stich schauderte die zuschauende Kinderschar zusammen, gewärtig, im
nächsten Augenblick einen der Ertrunkenen am Spieße zu sehen. Es kam aber
keiner zum Vorschein.
Herr Eiselein war in seiner Not den ganzen Abend herumgelaufen. Er kehrte
spät und trostlos heim und schob den Suppenteller, den die Frau ihm warm-
gestellt hatte, traurig zurück. Aber die kleine Frau, so ruhig und nachgiebig sie sonst war, stellte ihm den Teller sogleich wieder hin, zwang ihm den Löffel in die Hand und sagte sehr bestimmt:
Für nix will ich’s Essen nicht gewärmt
haben, iß du jetzt nur. Der Lausbub wird wohl wiederkommen, wenn er Hunger
kriegt. Sei jetzt so gut und iß!
Und der Vater war so gebrochen und wider-
standslos, daß er nicht einmal aufbegehrte, sondern ganz still den Löffel nahm und aß, bis nichts mehr da war. Das hatte die Frau doch nicht erwartet, und
da sie daraus seine Verzweiflung ersah, wurde jetzt auch sie beklommen und
angstvoll, und beide saßen den ganzen Abend beisammen am Tisch, sagten
nichts und gaben sich düsteren Gedanken hin.
Nachts nach elf Uhr geschah ein kurzes schwaches Läuten an der Hausglocke
und gleich darauf ein stärkeres, kühneres, und an der Pforte stand und wartete und schämte sich Karl Eugen. Nachdem man ihm abgefragt hatte, daß auch
seine Kameraden wieder da und noch am Leben seien, ließ man ihn schlafen.
Ehe der aufatmende Vater vom Bett aus nach dem Kerzenlöscher griff, hustete
seine kühn gewordene Frau und sagte:
Schorsch, wenn du morgen dem Bub
nicht eine gesalzene Portion gibst, dann geb ich sie ihm.
Er seufzte, löschte
das Licht und konnte noch lang nicht einschlafen.
Am anderen Tag kam alles sauber an das Licht und als Hauptverführer ward
der gefährliche Fenimore Cooper entdeckt. Die Knäblein hatten beschlossen,
miteinander die langweilige alte Welt zu verlassen und die Heimat der Mohikaner aufzusuchen, wo statt Meerrohr und Grammatik Skalpmesser, Kriegsbeil
und Flinte die Begleiter der Jugend sind. Auch wäre alles gut gegangen, aber die Nacht war so kalt und sie hatten im Walde nimmer aus noch ein gewußt,
obwohl der eine von
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