Die Erzaehlungen 1900-1906
diesmal nicht zum Leidwesen Karl Eu-
gens, welcher vielmehr die Reise nach der Stadt und den Eintritt in das Gym-
nasium mit freudigster Ungeduld erwartete. Während in den letzten Tagen
Herr Eiselein seinen Sohn mit verdoppelter Zärtlichkeit und Sorgfalt behan-
delte und schon im voraus ein mit Stolz gemischtes Abschiedsweh empfand,
war die Mutter still und emsig mit dem Einkaufen und Packen, Waschen und
Glätten, Flicken und Bürsten des Notwendigsten beschäftigt. Am vorletzten
Tage machte der Gymnasiast in seinem schwarzen Konfirmandenrock eine
Reihe von Abschiedsbesuchen bei Verwandten, Gevattern, Lehrern und guten
Freunden, nahm Ratschläge, Geschenke und Glückwünsche, Händedrücke und
Scherzworte mit manierlichem Lächeln entgegen und trug die Gefühle eines
in rühmliche Kriegsdienste abgehenden jungen Fähnrichs in seiner Brust. Der
feste Vorsatz, schon in die ersten Ferien verändert, gealtert und vornehmer
heimzukommen, verlieh ihm dabei eine zurückhaltende Überlegenheit von de-
likater Nuance.
Alsdann kam die Stunde des Abschieds und der Abreise. Der Vorsteher einer
Knabenpension in der Hauptstadt, in dessen Hause Karl Eugen unterkommen
sollte, war gekommen, um ihn abzuholen. Die Mutter lächelte, gab noch einige gute Winke und Ratschläge, sah nach dem Gepäck und warf prüfende Blicke
auf den Pensionsherrn. Dieser benahm sich sehr gemessen, sehr höflich und
sehr fein. Der Vater hingegen war traurig, seinen Liebling zu verlieren und doch aber auch stolz, ihn einer glänzenden Laufbahn und Zukunft entgegenschreiten zu sehen, und die Mischung dieser Gefühle arbeitete in seinen Zügen so heftig, daß sein Gesicht ganz bläulich anlief und so mitgenommen aussah, als hätte
131
der brave Herr die unverantwortlichsten Ausschweifungen zu bereuen.
Also, geehrter Herr, seien Sie ohne Sorgen, Ihr Sohn kommt in gute Hän-
de , versicherte der fremde höfliche Herr des öftern, wobei Vater Eiselein
ihn mit einem Blicke ansah, als hätte jener ihm seine Teilnahme bei einem
Todesfall ausgesprochen.
Und der Fremde zog höflich den Hut, und ein letzter inbrünstiger Hände-
druck machte den Sohn erbeben. Und der Zug hielt an und man stieg ein, und
der Zug pfiff und stank nach Rauch und Öl und lief wieder davon, so schnell, daß er schon fast außer Sicht gerückt war, als Vater Eiselein sein farbiges
Taschentuch gefunden, herausgezogen und ausgebreitet hatte, um nachzuwin-
ken. Nun flatterte das stattliche Tuch wie ein Fähnlein in den Lüften und sah mit seinem goldgelben Grund und weißen und roten Muster so fröhlich und
erquicklich aus, als sei dem Hause Eiselein heute eitel Freude widerfahren.
Während sein Knabe im Wagen nicht ohne peinliche Gefühle der Unterhal-
tung des Herrn standhielt, dessen Höflichkeit und Lächeln auf dem verlas-
senen Bahnhof liegengeblieben schienen, wandelten die Eltern langsam und
in Gedanken, aber in Gedanken verschiedener Art, in die Stadt und in ihren
Spezereiwarenladen zurück.
Du, der Pensionsherr gefällt mir nicht übel , sagte sie.
Ja, ja, er war ja sehr freundlich. Jawohl , sagte er.
Sie schwieg. Im stillen baute sie aber ihre Hoffnungen durchaus nicht auf die Freundlichkeit jenes Herrn, sondern auf das, was sie von Strenge und schneidiger Art an ihm bemerkt zu haben glaubte. Und als auch sie nun einen Seufzer
ausstieß, dachte sie dabei vorwiegend an das sündliche Geld, das ihr Bub nun kosten würde, denn die Pension war nicht billig.
Nach der Abreise des Knaben trat im Hause eine große Ruhe ein und zu-
gleich ein Stillstand in der begonnenen langsamen Verschiebung der Macht-
verteilung. Seit der Indianergeschichte nämlich hatte sich des öftern der Fall wiederholt, daß Frau Eiselein den Buben männlicher anfaßte als ihr Gemahl
und eine Lanze zur Rettung der elterlichen Autorität einlegte. Dabei war von den bis dahin unbestrittenen hausherrlichen Machtbefugnissen jedesmal ein
Körnlein der Waagschale ihres Mannes entglitten und auf die ihrige gefallen, so daß das Zünglein unmerklich, aber sicher nach ihrer Seite hinüberstrebte.
Nach acht Tagen kam der erste Brief aus der Hauptstadt. Er enthielt vor-
nehmlich eine Aufzählung der schönsten Straßen und Denkmäler, eine etwas
unklare Abhandlung über die Sprache Homers und die Bitte um etwas mehr
Taschengeld, da man so mancherlei Kleinigkeiten in und außer der Schule
brauche.
Die Mutter fand das unnötig, der Vater aber begriff den Wunsch vollkommen
und
Weitere Kostenlose Bücher