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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sein wohlverdientes Geld im
    Adler oder Sternen einen Schoppen trank oder eine Kegelpartie mitmachte,
    schmeckte es ihm besser als früher bei manchem Kommers.
    Kurz vor Weihnachten fiel ein wenig Schnee und gleich darauf trat Frost ein, so daß es mit der Waldarbeit plötzlich ein Ende hatte. Dem Dichter tat es fast leid um die gewohnte Morgenbeschäftigung, als aber Weihnachten kam und
    vorüberging, fiel es ihm plötzlich auf die Seele, wie schnell die Zeit verstrich und wie notwendig es nun war, seine Dichtung ernstlich vorwärts zu bringen.
    Säcke holen, Kisten packen, Holz spalten und dergleichen hatte ihn in der
    letzten Zeit ganz davon abgehalten.
    Als er zum erstenmal
    Das Tal der bleichen Seelen
    wieder zur Hand nahm,
    gefiel der Titel ihm nicht mehr so ganz und er suchte einen neuen zu finden, aber es fiel ihm keiner ein. Mißmutig lief er eine Zeitlang herum, ging öfter als sonst zu einem Bier und Billard und sah sich daher bald wieder ohne
    Taschengeld. Diesmal half er beim Ausschreiben der Neujahrsrechnungen und
    saß drei Tage beim Papa im Kontor. Er bekam ein paar Mark dafür, aber seine
    Dichtung wurde davon nicht fett. Vielmehr war es merkwürdig, wie nach jeder
    solchen Arbeit die Gedanken ausblieben, statt zu kommen. Während er das
    Widmungsblatt nochmals überlas und sich daran begeistern wollte, geschah es, daß er plötzlich daran denken mußte, daß der reiche Direktor Selbiger seinem Vater die letzte Halbjahresrechnung noch immer schuldig geblieben war. Ob
    es wohl anging, den Mann zu mahnen? Bei Tische sprach er mit dem Alten
    darüber, aber der war entschieden fürs Abwarten.
    Und immer öfter nahm Eugen mit Verzweiflung wahr, daß er mit jedem
    Schritt, den er im tätigen Leben machte, seiner Dichtung ferner kam und
    Abbruch tat. Erzwang sich nun gewaltsam und schrieb ein paar Seiten, die
    ihn aber nicht befriedigten. Die Sprache war gequält und steif, es kam kein
    Leben hinein. Ärgerlich warf er das Heft dann in die Schublade und ging zu
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    einem Kartenspiel im
    Hecht , verlor ziemlich und bot sich wieder für zwei
    Tage zum Mithelfen im Laden an.
    Dann suchte er bei seinen Büchern Trost, die er in letzter Zeit vernachlässigt hatte. Und nun erlebte er es zum erstenmal, daß sie ihn im Stich ließen, ihm keine Stimmung gaben und ihm sogar fast langweilig vorkamen. Er hätte jetzt
    ein Dichterwerk gebraucht, das seine gegenwärtige Not erfaßt und ausgespro-
    chen und tröstlich verklärt hätte. Aber d’Annunzio betrachtete griechische
    Gemmen und streichelte die Schultern schöner Baronessen, Oscar Wilde roch
    an exotischen Blumen und analysierte sein Nervenleben, und der Condottiere-
    Dichter besang eine
    blaue Stunde
    und einen leierspielenden Knaben.
    Eine leise erste Ahnung stieg bitter in ihm auf, daß alle diese schönen Bücher vielleicht eben nur Bücher, nur ein Luxus für Glückliche und Reiche und Zufriedene seien, mit dem Leben und seiner Not aber keine Berührung hatten
    und haben wollten – Olympier an goldenen Tischen, welche von unten her,
    aus dem Wirrsal des Menschlichen, kein Klagelaut erreichte. Sie waren schön
    gewesen, als er sie in üppigen, faulen Zeiten genossen hatte. Und jetzt, da
    das Leben seine Hände nach ihm ausstreckte, schwiegen sie und wollten nichts von ihm wissen. Der Dichter des
    All
    fiel ihm ein, der keine Trilogien mehr,
    sondern Sportberichte für ein Tageblatt schrieb. Und er warf das Buch, das er gerade in der Hand hielt, zornig und traurig an die Wand.
    Im Februar tat Frau Eiselein die erste behutsame Frage nach dem Gedeihen
    der Dichtung. Karl Eugen hatte gerade ein Faß Petroleum hereingerollt. Er
    drückte sich um die Antwort. Und als sie neugierig war, wenigstens den Titel zu erfahren, rückte und schob er unmutig an dem Faß herum und brummte:
    Den Titel macht man immer zuletzt.
    Doch wurde er rot dabei.
    Ende März klopfte die Mama wieder an, trat zu dem Dichter an den Schreib-
    tisch und verlangte sein Werk zu sehen.
    Es ist nicht fertig , sagte er in un-
    behaglichem Ton.
    Dann ist’s eben halbfertig , beharrte sie.
    Ich gehe nicht
    aus der Stube, bis ich’s gesehen habe. Sei vernünftig, du kennst mich doch.
    O ja, er kannte sie. Dennoch zögerte er noch eine ganze Weile, ehe er die
    Lade herauszog und sein Heft vorlegte.
    Das Tal der bleichen Seelen! Schau, jetzt ist ja doch der Titel da, freilich ein komischer.
    Es folgten etwa zehn beschriebene Blätter, auf denen aber das meiste wieder
    durchgestrichen war.
    Ist das

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