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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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alles?
    fragte sie ruhig.
    Das ist alles . . . Ich wollte –
    Laß nur, ’s ist schon gut.
    Da die Frau das schmerzliche Gesicht ihres Sohnes sah, hielt sie an sich und brach erst nachher auf der Treppe in ein kräftiges Gelächter aus.
    149
    Als sie später den Dichter auf den Kopf zu fragte, bis wann sein Werk wohl
    Hoffnung habe, fertig zu werden, senkte er den Kopf und gestand:
    Ich glaube,
    nie.
    Im April trat Karl Eugen in das Geschäft seines Vaters ein. Im nächsten
    Jahre ging er als Volontär in ein auswärtiges Kaufhaus, von wo er mit guten
    Zeugnissen zurückkam, und als nach einigen weitern Jahren der alte Herr
    anfing kränklich zu werden, übernahm er den Laden allein und überließ dem
    Vater nur noch die Korrespondenzen.
    Während dieser Jahre fiel das Geniewesen in aller Stille vollends von ihm
    ab wie eine Schlangenhaut, und es zeigte sich, daß unter der Hülle recht viel väterliche und mütterliche Erbstücke unverloren geschlummert hatten. Die er-starkten nun und traten bald auch äußerlich zutage. Wie mit dem Lesen und
    Dichten der Weltschmerz, so war mit dem Schlips und den Geniemanieren auch
    die falsche Bedeutsamkeit und Wichtigkeit des Auftretens verschwunden und
    der absonderliche Apfel also doch nahe beim Stamm gefallen. Und der vom mil-
    den Stachel täglicher Arbeit aus dem Traum geweckte Jüngling sah allmählich
    ein, daß seine vermeintliche Frühreife weit eher ein ungewöhnlich langes Ka-
    priolenmachen der Jugendlichkeit gewesen war. Aber desto gründlicher faßte
    er die Arbeit und Umkehr an.
    Die Zeit ging hin, er heiratete und wurde Vater, das Geschäft ging nicht übel und seine Schulden waren alle längst bezahlt. Zuweilen nahm er etwa einmal
    abends eines der Bücher von damals in die Hand, blätterte darin hin und her, schüttelte nachdenklich den Kopf und stellte es an seinen Ort zurück. Das
    Dichterbildnis aber hing noch immer an der Wand: der Jüngling im modischen
    Kragen blickte stolz und verachtend aus dem Rahmen und hinter ihm saß
    unerschüttert der kühne Condottiere auf seinem ehernen Roß.
    (1903)
    150
    Aus Kinderzeiten
    Der ferne braune Wald hat seit wenigen Tagen einen heiteren Schimmer von
    jungem Grün; am Lettensteg fand ich heute die erste halberschlossene Pri-
    melblüte; am feuchten klaren Himmel träumen die sanften Aprilwolken, und
    die weiten, kaum gepflügten Äcker sind so glänzend braun und breiten sich der lauen Luft so verlangend entgegen, als hätten sie Sehnsucht, zu empfangen und zu treiben und ihre stummen Kräfte in tausend grünen Keimen und aufstre-benden Halmen zu erproben, zu fühlen und wegzuschenken. Alles wartet, alles
    bereitet sich vor, alles träumt und sproßt in einem feinen, zärtlich drängenden Werdefieber – der Keim der Sonne, die Wolke dem Acker, das junge Gras den
    Lüften entgegen. Von Jahr zu Jahr steh ich um diese Zeit mit Ungeduld und
    Sehnsucht auf der Lauer, als müßte ein besonderer Augenblick mir das Wun-
    der der Neugeburt erschließen, als müsse es geschehen, daß ich einmal, eine
    Stunde lang, die Offenbarung der Kraft und der Schönheit ganz sähe und be-
    griffe und miterlebte, wie das Leben lachend aus der Erde springt und junge
    große Augen zum Licht aufschlägt. Jahr für Jahr auch tönt und duftet das
    Wunder an mir vorbei, geliebt und angebetet – und unverstanden; es ist da,
    und ich sah es nicht kommen, ich sah nicht die Hülle des Keimes brechen und
    den ersten zarten Quell im Lichte zittern. Blumen stehen plötzlich allerorten, Bäume glänzen mit lichtem Laub oder mit schaumig weißer Blust, und Vögel
    werfen sich jubelnd in schönen Bogen durch die warme Bläue. Das Wunder
    ist erfüllt, ob ich es auch nicht gesehen habe, Wälder wölben sich, und ferne Gipfel rufen, und es ist Zeit, Stiefel und Tasche, Angelstock und Ruderzeug
    zu rüsten und sich mit allen Sinnen des jungen Jahres zu freuen, das jedesmal schöner ist, als es jemals war, und das jedesmal eiliger zu schreiten scheint. –
    Wie lang, wie unerschöpflich lang ist ein Frühling vorzeiten gewesen, als ich noch ein Knabe war!
    Und wenn die Stunde es gönnt und mein Herz guter Dinge ist, leg ich mich
    lang ins feuchte Gras oder klettere den nächsten tüchtigen Stamm hinan, wiege mich im Geäst, rieche den Knospenduft und das frische Harz, sehe Zweigenetz
    und Grün und Blau sich über mir verwirren und trete traumwandelnd als ein
    stiller Gast in den seligen Garten meiner Knabenzeit. Das gelingt so selten
    und ist so

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