Die Erzaehlungen 1900-1906
Theaterspielerei gar nicht aufhören, dummer Bub? Wo willst
du denn hin? Hast du denn Geld? Du bist gar nicht der Mann, mir was vor-
zuspielen, und für das Verzweifelttun geh ich dir keinen Kreuzer. Oder willst du dir etwa das Leben nehmen? O du! Tust’s ja doch nicht, ich kenn’ dich
schon. Nun, du bist nun einmal leider Gottes unser Bub und wir müssen se-
hen, daß noch was aus dir wird. Fortgereist wird jetzt nimmer, also mach
keine Komödie und sag, was du zu sagen hast. Ob ich’s dann versteh oder
nicht versteh, ist meine Sache. Warum soll ich dich durchaus nicht verstehen?
Du hast doch meiner Seel nicht so viel studiert. Also los!
Im Herzen war der Jüngling froh, daß sie ihn nicht hatte laufen lassen, und
trotz der Beschämung begann er ein wenig Vertrauen zu ihr zu fassen. Er
hustete also ein bißchen, seufzte und schnitt die vorbereitenden Grimassen,
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und dann begann er zu erzählen und zu erklären, daß er von jeher ein Dichter habe werden wollen. Er habe, man möge es glauben oder nicht, genug Studien
gemacht und viel gelernt, und er sei jetzt auf dem Sprung, sein erstes Werk zu schaffen. Wenn er jetzt davon ablassen müsse, so wäre all die schöne Zeit doppelt verloren; vielleicht glücke es ihm damit und dann sei alles wettgemacht.
Er begann von Schriftstellern zu erzählen, die Landhäuser besitzen und er-
ster Klasse reisen; von den Briefen der beiden Symbolisten sagte er nichts. Sie unterbrach ihn und meinte, er könne schon zufrieden sein, wenn es hinreiche, seine Schulden zu zahlen. Bis wann er denn sein Werk fertigmachen wolle,
wenn es in all den Semestern nicht fertig geworden sei? Da wurde er wieder
lebhaft und erklärte ihr, welche Reife so etwas erfordere.
Reife!
lächelte sie.
Jetzt aber sei er so weit; wenn er nur noch diesen Winter zur Arbeit frei habe, würde er fertig.
Ich will noch drüber schlafen , sagte sie,
es kommt jetzt vollends auf
einen Tag nimmer an. Wir reden morgen weiter. Daß du Tabak und Schnaps
nach Belieben aus dem Laden holst, muß aber schon heut ein Ende haben,
denk dran!
Als der junge Mensch in seiner Stube saß und die Sache überdachte, kam
er sich zwar erbärmlich klein und gedemütigt vor und schämte sich fast vor
den stolzen Büchertiteln an der Wand; aber froh war er doch, die Angst vom
Halse und wieder Boden unter seinen Füßen zu haben. Er zog das dicke Heft
hervor, in welchem die paar ersten Zeilen seiner großen Dichtung standen.
Das Tal der bleichen Seelen
stand auf dem Umschlag, und der Titel schien
ihm gut, ein kleines Meisterwerkchen. Er war eine Offenbarung und ihm vor
einem Vierteljahr auf dem Heimweg von einer einsamen Kneiperei eingefallen,
und seither glaubte er an sein Werk und hatte ein Gefühl, als sei das Schwerste, Entscheidende daran schon getan. Auch die Widmung war schon fertig. Sie
war an jenen Dichter, der ihm den Märtyrerbrief geschrieben hatte, gerichtet, kurz und schön, in feiner Mischung von Stolz und Demut, das ehrerbietige
Sichneigen vor dem auserwählten Geiste ausdrückend.
Herr Eiselein hatte noch am selben Abend eine zweite Unterredung mit
seiner Frau. Er wußte durchaus keinen Rat, stöhnte und fluchte abwechselnd
und wurde desto elender, je lebhafter die Frau ihn um Vorschläge drängte.
Du weißt also nichts?
sagte sie dann am Ende freundlich.
Wütend sprang er auf und lief in der Stube hin und her wie ein Eingesperr-
ter.
Nach Amerika schick ich ihn, den Gutedel!
schrie er zornig.
Damit er vollends ein Lump wird? Und meinst du, die Reise kostet nichts?
Nein, er soll schön dableiben, bis er seine Streiche abverdienen kann. Man hat schon Schlimmere wieder zuwege gebracht.
Ja, aber wie denn?
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Wenn dir’s recht ist, will ich sehen, was zu machen ist. Geduld wird’s schon brauchen. Überlaß ihn nur mir!
Dabei blieb es, denn der Hausherr wehrte sich nicht. Er fühlte, ohne daß sie etwas weiteres sagte, den Sinn dieses Abkommens wohl heraus.
Du hast ihn
verlottern lassen , meinte sie,
ich will ihn wieder kurieren, du aber laß die
Finger davon.
Folgenden Tags rief sie den bange harrenden Sohn zu sich und gab ihm ihre
Entschlüsse kund.
Ich habe mit Papa über dich beraten , sagte sie.
An deine Dichterei hab
ich keinen rechten Glauben. Damit du aber nicht sagen kannst, wir hätten
dich mit Gewalt von deinem Glück abgehalten, sollst du deinen Willen noch
einmal haben, aber zum letztenmal. Du kannst also diesen Winter dichten
so viel du willst. Wir
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