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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sind jetzt im Oktober, da kannst du bis zum Frühjahr
    schon was hinter dich bringen. Aber wenn es dann nichts damit ist, hat das
    Bummeln ein Ende und du mußt dann endlich daran glauben und eine solide
    Arbeit anfangen. Ist’s dir so recht?
    Es war ihm recht und er ließ es nicht an Dankesworten fehlen. Das Herz
    schlug ihm vor Lust, daß er nun nicht mehr heimlich, sondern erlaubter- und
    anerkannterweise das Leben eines Dichters führen sollte. Der Druck der Angst und des bösen Gewissens war von ihm genommen, er atmete wieder legitime
    Lebensluft, nachdem er so lang auf dem dünnen Glasboden einer rechtlosen
    Scheinexistenz gewandelt war. Nun hoffte er einen neuen Aufschwung und
    freute sich darauf, tüchtig zu arbeiten. Denn von Arbeiten redet ja niemand
    lieber als Dichter, Künstler und dergleichen Müßiggänger. Freudig stieg er die schmale Stiege zu seiner Stube hinauf, warf sich aufatmend in den Lehnsessel, steckte eine Pfeife an und griff nach den
    Violetten Nächten , einem seiner
    Lieblingsbücher, in dessen dunkle, reimlose Verse er sich mit Wollust vertiefte.
    Das Tal der bleichen Seelen war einstweilen immer noch ein dickes Quartheft
    mit weißen Blättern. Der Dichter hütete sich wohl, diese harrende unbeschriebene Fläche zu entweihen. Auf ihr sollte nur etwas Kostbares, Delikates Platz finden, Züge bleicher Seelen sollten über sie hinweg schauern wie Herbstwol-ken, zart und düster, abwechselnd mit tieftönigen, farbig lodernden Träumen
    im Stile des Gabriele d’Annunzio, der seit einiger Zeit für Karl Eugen die Rolle des Vermittlers romanischer Kultur spielte. Selber hatte er nie das Glück gehabt, Italien oder italienische Kunstwerke zu sehen, doch hatte die Lektüre dieses Italieners ihn so erzogen, daß er mühelos Vergleiche und Bilder anwen-den konnte wie
    vornehm gleich den Gesten einer Madonna des Carlo Crivel-
    li
    oder
    kühn wie eine Form des göttlichen Benvenuto Cellini
    oder
    ein
    Lächeln von lionardesker Lieblichkeit . So häufte er spielend die Schönheiten alter und fremder Kulturen; er gab seinem Stil bald die Glut des d’Annunzio, bald die welke Reife von Huysmans, bald die träumerische Märchenfarbe Mae-145
    terlincks oder die weiche Süßigkeit Hofmannsthals. Noch ein wenig Zeit, ein
    wenig Reife, und es mußte daraus etwas berückend Köstliches entstehen.
    Er wartete ab, las in seinen Büchern, liebkoste das leere Papier und setzte
    sich in Bereitschaft, die bleichen Seelen würdig und feierlich durch symbo-
    lische Traumländer zu geleiten. Sie sollten von allem reden, was schön und
    fern und seltsam ist, und an alles erinnern, was in einsamen Nächten die
    schauernde Seele eines Ästheten berührt und entzückt und traurig gemacht
    hat. Von den Wänden schauten erwartungsvoll und segnend die Bücherreihen,
    die Tabakspfeifen und das Bildnis des Dichters mit dem Condottiere herab.
    Zuweilen schien es ihm, als seien dies alles Dinge, welche überwunden oder
    doch überboten werden könnten. Dann strich er sich leise mit der Rechten
    übers Haar, blickte sinnend und lächelnd vor sich nieder und träumte von den wunderbaren, reichen, schöpferischen Stunden, in denen er im Sinnbilde der
    bleichen Seelen alles Wunderbare und Unerhörte aus dem Reich der Schönheit
    erfassen und in adlige Formen schöpfen würde.
    Nach einer solchen Stunde war es ihm immer doppelt peinlich, wenn er im
    Laden, wo er sich mit irgendeiner Stärkung versehen wollte, dem strafenden
    Blick des Vaters oder gar der Mutter begegnete und unverrichteter Dinge
    wieder abziehen oder ein paar Zigarren und dergleichen durch lange, demütige Bitten und Reden erkämpfen mußte. Doch wußte er sich in diese Mißlichkeiten
    fast immer mit Ergebung und freundlicher Ruhe zu finden oder für die Stillung seiner Bedürfnisse unbewachte Minuten zu benützen.
    Der November brachte noch eine Reihe von sonnig blauen Tagen, und am
    Rand der Tannenwälder leuchtete noch immer rot und gelbes Laubgebüsch.
    Um diese Zeit begann der
    Abgrund
    seine Leser zur schleunigen Erneuerung
    ihres Abonnements aufzufordern, was eine Zwiesprache zwischen Mutter und
    Sohn zur Folge hatte, worin er den kürzeren zog, so daß er sich darein schicken mußte, die Tröstung, sich je und je gedruckt zu sehen, künftig zu entbehren.
    Dann kam ein tagelanger schwerer Regen, und eines Morgens lag auf den
    völlig entblätterten Büschen im Garten der erste leichte Reif.
    Kaum hatte den der Dichter erblickt, so stieg er in den Keller

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