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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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blauer Himmel über dem Land, am Mor-
    gen rein und lachend, am Nachmittag stets von niederen, langsam wachsenden
    gedrängten Wolkenballen umlagert. Nachts gingen nah und fern Gewitter nie-
    der, aber jeden Morgen, wenn man – noch den Donner im Ohr – erwachte,
    glänzte die Höhe blau und sonnig herab und war schon wieder ganz von Licht
    und Hitze durchtränkt. Dann begann ich froh und ohne Hast meine Art von
    Sommerleben: kurze Gänge auf glühenden und durstig klaffenden Feldwegen
    durch warm atmende, hohe gilbende Ährenfelder, aus denen Mohn und Korn-
    blumen, Wicken, Kornraden und Winden lachten, sodann lange, stundenlange
    Rasten im hohen Gras an Waldsäumen, über mir Käfergoldgeflimmer, Bienen-
    gesang, windstill ruhendes Gezweige im tiefen Himmel; gegen Abend alsdann
    ein wohlig träger Heimweg durch Sonnenstaub und rötliches Ackergold, durch
    eine Luft voll Reife und Müdigkeit und sehnsüchtigem Kuhgebrüll, und am
    Ende lange, laue Stunden bis Mitternacht, versessen unter Ahorn und Lin-
    de allein oder mit irgendeinem Bekannten bei gelbem Wein, ein zufriedenes,
    lässiges Plaudern in die warme Nacht hinein, bis fern irgendwo das Donnern
    begann und unter erschrocken aufrauschenden Windschauern erste, langsam
    und wollüstig aus den Lüften sinkende Tropfen schwer und weich und kaum
    hörbar in den dicken Staub fielen.
    Nein, so was Faules wie du!
    meinte mein guter Vetter mit ratlosem
    Kopfschütteln, daß dir nur keine Glieder abfallen!
    Sie hängen noch gut , beruhigte ich. Und ich freute mich daran, wie müde
    und schweißig und steifgeschafft er war. Ich wußte mich in meinem guten
    Recht; ein Examen und eine lange Reihe von sauren Monaten lagen hinter
    mir, in denen ich meine Bequemlichkeit täglich schwer genug gekreuzigt und
    geopfert hatte.
    Vetter Kilian war auch gar nicht so, daß er mir meine Lust nicht gegönnt
    hätte. Vor meiner Gelehrtheit hatte er tiefen Respekt, sie umgab mich für sein Auge mit einem geheiligten Faltenwurf, und ich warf natürlich die Falten so, daß die mancherlei Löcher nicht gerade obenhin kamen.
    Es war mir so wohl wie noch nie. Still und langsam schlenderte ich in Feld
    und Wiesenland, durch Korn und Heu und hohen Schierling, lag regungslos
    und atmend wie eine Schlange in der schönen Wärme und genoß die brütend
    stillen Stunden.
    Und dann diese Sommertöne! Diese Töne, bei denen einem wohl und traurig
    wird und die ich so lieb habe: das unendliche, bis über Mitternacht anhaltende Zikadenläuten, an das man sich völlig verlieren kann wie an den Anblick des
    Meeres – das satte Rauschen der wogenden Ähren – das beständig auf der
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    Lauer liegende entfernte leise Donnern – abends das Mückengeschwärme und
    das fernhin rufende, ergreifende Sensendengeln nachts der schwellende, warme Wind und das leidenschaftliche Stürzen plötzlicher Regengüsse.
    Und wie in diesen kurzen, stolzen Wochen alles inbrünstiger blüht und at-
    met, tiefer lebt und duftet, sehnlicher und inniger lodert! Wie der überreiche Lindenduft in weichen Schwaden ganze Täler füllt, und wie neben den müden,
    reifenden Kornähren die farbigen Ackerblumen gierig leben und sich brüsten,
    wie sie verdoppelt glühen und fiebern in der Hast der Augenblicke, bis ihnen viel zu früh die Sichel rauscht!
    Ich war vierundzwanzig Jahre alt, fand die Welt und mich selber sehr wohl-
    beschaffen und betrieb das Leben als eine ergötzliche Liebhaberkunst, vor-
    wiegend nach ästhetischen Gesichtspunkten. Nur das Verliebtsein kam und
    verlief ganz ohne meine Wahl nach den althergebrachten Regeln. Doch hätte
    mir das niemand sagen dürfen! Ich hatte mich nach den nötigen Zweifeln und
    Schwankungen einer das Leben bejahenden Philosophie ergeben und mir nach
    mehrfachen schweren Erfahrungen, wie mir schien, eine ruhige und sachliche
    Betrachtung der Dinge erworben. Außerdem hatte ich mein Examen bestan-
    den, ein nettes Taschengeld im Sack und zwei Monate Ferien vor mir liegen.
    Es gibt wahrscheinlich in jedem Leben solche Zeiten: weit vor sich sieht man glatte Bahn, kein Hindernis, keine Wolke am Himmel, keine Pfütze im Weg. Da
    wiegt man sich gar stattlich im Wipfel und glaubt mehr und mehr zu erkennen, daß es eben doch kein Glück und keinen Zufall gibt, sondern daß man das alles und noch eine halbe Zukunft ehrlich verdient und erworben habe, einfach weil man der Kerl dazu war. Und man tut wohl daran, sich dieser Erkenntnis zu
    freuen, denn auf ihr beruht das Glück der

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