Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Märchenprinzen ebenso wie das
    Glück der Spatzen auf dem Mist, und es dauert ja nie zu lange.
    Von den zwei schönen Ferienmonaten waren mir erst ein paar Tage durch
    die Finger geglitten. Bequem und elastisch wie ein heiterer Weiser wandelte
    ich in den Tälern hin und her, eine Zigarre im Mund, eine Ackerschnalle am
    Hut, ein Pfund Kirschen und ein gutes Büchlein in der Tasche. Ich tausch-
    te kluge Worte mit den Gutsbesitzern, sprach da und dort den Leuten im
    Felde freundlich zu, ließ mich zu allen großen und kleinen Festlichkeiten, Zusammenkünften und Schmäusen, Taufen und Bockbierabenden einladen, tat
    gelegentlich am Spätnachmittag einen Trunk mit dem Pfarrer, ging mit den
    Fabrikherren und Wasserpächtern zum Forellenangeln, bewegte mich maßvoll
    fröhlich und schnalzte innerlich mit der Zunge, wenn irgend so ein feister,
    erfahrener Mann mich ganz wie seinesgleichen behandelte und keine Anspie-
    lungen auf meine große Jugend machte. Denn wirklich, ich war nur äußerlich
    so lächerlich jung. Seit einiger Zeit hatte ich entdeckt, daß ich nun über die Spielereien hinausgekommen und ein Mann geworden sei; mit stiller Wonne
    ward ich stündlich meiner Reife froh und brauchte gern den Ausdruck, das
    168
    Leben sei ein Roß, ein flottes, kräftiges Roß, und wie ein Reiter müsse man es behandeln, kühn und auch vorsichtig.
    Und da lag die Erde in ihrer Sommerschönheit, die Kornfelder fingen an gelb
    zu werden, die Luft war noch voll Heugeruch, und das Laub hatte noch lichte, heftige Farben. Die Kinder trugen Brot und Most ins Feld, die Bauern waren
    eilig und fröhlich, und abends liefen die jungen Mädchen in Reihen über die
    Gasse, ohne Grund plötzlich hinauslachend und ohne Vereinbarung plötzlich
    ihre wehmütigen Volkslieder anstimmend. Vom Gipfel meiner jungen Mannes-
    reife herab sah ich freundlich zu, gönnte den Kindern und den Bauern und
    den Mädchen ihre Lust von Herzen und glaubte das alles wohl zu verstehen.
    In der kühlen Waldschlucht des Sattelbachs, der alle paar hundert Schritt eine Mühle treiben muß, lag stattlich und sauber ein Marmorsägewerk: Schuppen,
    Sägeraum, Stellfalle, Hof, Wohnhaus und Gärtchen, alles einfach, solid und
    erfreulich aussehend, weder verwittert noch allzu neu. Da wurden Marmor-
    blöcke langsam und tadellos in Platten und Scheiben zersägt, gewaschen und
    geschliffen, ein stiller und reinlicher Betrieb, an dem jeder Zuschauer seine Lust haben mußte. Fremdartig, aber hübsch und anziehend war es, mitten in
    dem engen und gewundenen Tale zwischen Tannen und Buchen und schmalen
    Wiesenbändern den Sägehof daliegen zu sehen, angefüllt mit großen Marmor-
    blöcken, weißen, bläulichgrauen und buntgeäderten, mit fertigen Platten von
    jeder Größe, mit Marmorabfällen und feinem, glänzendem Marmorstaub. Als
    ich das erstemal diesen Hof nach einem Neugierbesuch verließ, nahm ich ein
    kleines, einseitig poliertes Stückchen weißen Marmors in der Tasche mit; das besaß ich jahrelang und hatte es als Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch liegen.
    Der Besitzer dieser Marmorschleiferei hieß Lampart und schien mir von je-
    ner an Originalen ergiebigen Gegend eines der eigentümlichsten zu sein. Er
    war früh verwitwet und hatte teils durch sein ungeselliges Leben, teils durch sein eigenartiges Gewerbe, das mit der Umgebung und mit dem Leben der
    Leute ringsum ohne Berührung blieb, einen besonderen Anstrich bekommen.
    Er galt für sehr wohlhabend, doch wußte das keiner gewiß, denn es gab weit
    herum niemand, der irgendein ähnliches Geschäft und einen Einblick in dessen Gang und Ertrag gehabt hätte. Worin seine Besonderheit bestand, hatte ich
    noch nicht ergründet. Sie war aber da und nötigte einen, mit Herrn Lampart
    anders als mit anderen Leuten umzugehen. Wer zu ihm kam, war willkommen
    und fand einen freundlichen Empfang, aber daß der Marmorsäger jemand wie-
    derbesuchte, ist nie vorgekommen. Erschien er einmal – es geschah selten –
    bei einer öffentlichen Feier im Dorf oder zu einer Jagd oder in irgendeiner
    Kommission, so behandelte man ihn sehr höflich, tastete aber verlegen nach
    169
    der rechten Begrüßung, denn er kam so ruhig daher und blickte jedem so
    gleichmütig ernst ins Gesicht wie ein Einsiedler, der aus dem Wald hervorge-
    kommen ist und bald wieder hineingehen wird.
    Man fragte ihn, wie die Geschäfte gingen.
    Danke, es tut sich , sagte er,
    aber er tat keine Gegenfrage. Man erkundigte sich, ob die letzte

Weitere Kostenlose Bücher