Die Erzaehlungen 1900-1906
Überschwem-
mung oder der letzte Wassermangel ihn geschädigt habe.
Danke, nicht be-
sonders , sagte er, aber erfuhr nicht fort:
Und bei Ihnen?
Nach dem Äußeren zu urteilen, war er ein Mann, der viele Sorgen gehabt
hat und vielleicht noch hat, der aber gewohnt ist, sie mit niemand zu teilen.
In jenem Sommer war es mir zu einer Gewohnheit geworden, sehr oft beim
Marmormüller einzukehren. Oft trat ich nur im Vorüberbummeln für eine
Viertelstunde in den Hof und in die kühle dämmerige Schleiferei, wo blanke
Stahlbänder taktmäßig auf und nieder stiegen, Sandkörner knirschten und
rieselten, schweigsame Männer am Werk standen und unter dem Boden das
Wasser plätscherte. Ich schaute den paar Rädern und Riemen zu, setzte mich
auf einen Steinblock, drehte mit den Sohlen eine Holzrolle hin und her oder
ließ die Marmorkörner und Splitter unter ihnen knirschen, horchte auf das
Wasser, steckte eine Zigarre an, genoß eine kleine Weile die Stille und Kühle und lief wieder weg. Den Herrn traf ich dann fast nie. Wenn ich zu ihm wollte, und das wollte ich sehr oft, dann trat ich in das kleine, immer schlummerstille Wohnhaus, kratzte im Gang die Stiefel ab und hustete dazu, bis entweder Herr Lampart oder seine Tochter herunterkam, die Tür einer lichten Wohnstube
öffnete und mir einen Stuhl und ein Glas Wein hinstellte.
Da saß ich am schweren Tisch, nippte am Glas, drehte meine Finger um-
einander und brauchte immer eine Weile, bis ein Gespräch im Lauf war; denn
weder der Hausherr noch die Tochter, die aber sehr selten beide zugleich da
waren, machten je den Anfang, und mir schien diesen Leuten gegenüber und
in diesem Haus niemals irgendein Thema, das man sonst etwa vornimmt, am
Platze zu sein. Nach einer guten halben Stunde, wenn dann längst eine Unter-
haltung beieinander war, hatte ich meistens, trotz aller Behutsamkeit, mein
Weinglas leer. Ein zweites wurde nicht angeboten, darum bitten mochte ich
nicht, vor dem leeren Glase dazusitzen war mir ein wenig peinlich, also stand ich auf, gab die Hand und setzte den Hut auf.
Was die Tochter betrifft, so war mir im Anfang nichts aufgefallen, als daß
sie dem Vater so merkwürdig ähnlich war. Sie war so groß gewachsen, aufrecht und dunkelhaarig wie er, sie hatte seine matten schwarzen Augen, seine gerade, klar und scharf geformte Nase, seinen stillen, schönen Mund. Sie hatte auch
seinen Gang, soweit ein Weib eines Mannes Gang haben kann, und dieselbe
gute und ernste Stimme. Sie streckte einem die Hand mit derselben Geste
entgegen wie ihr Vater, wartete ebenso wie er ab, was man zu sagen habe,
und sie gab auf gleichgültige Höflichkeitsfragen ebenso sachlich, kurz und ein 170
wenig wie verwundert Antwort.
Sie war von einer Art Schönheit, die man in alemannischen Grenzlanden
öfters antrifft und die wesentlich auf einer ebenmäßigen Kraft und Wucht
der Erscheinung beruht, auch unzertrennlich ist von großem, hohem Wuchs
und bräunlicher Gesichtsfarbe. Ich hatte sie anfänglich wie ein hübsches Bild betrachtet, dann aber fesselte die Sicherheit und Reife des schönen Mädchens mich mehr und mehr. So fing meine Verliebtheit an, und sie wuchs bald zu
einer Leidenschaft, die ich bisher noch nicht gekannt hatte. Sie wäre wohl
bald sichtbar geworden, wenn nicht die gemessene Art des Mädchens und die
ruhigkühle Luft des ganzen Hauses mich, sobald ich dort war, wie eine leichte Lähmung umfangen und zahm gemacht hätten.
Wenn ich ihr oder ihrem Vater gegenübersaß, kroch mein ganzes Feuer so-
gleich zu einem scheuen Flämmlein zusammen, das ich vorsichtig verbarg. Die
Stube sah auch durchaus nicht einer Bühne ähnlich, auf der junge Liebes-
ritter mit Erfolg sich ins Knie niederlassen, sondern glich mehr einer Stätte der Mäßigung und Ergebung, wo ruhige Kräfte walten und ein ernstes Stück
Leben ernst erlebt und ertragen wird. Trotz alledem spürte ich hinter dem
stillen Hinleben des Mädchens eine gebändigte Lebensfülle und Erregbarkeit,
die nur selten hervorbrach und auch dann nur in einer raschen Geste oder
einem plötzlich aufglühenden Blick, wenn ein Gespräch sie lebhaft mitriß.
Oft genug besann ich mich darüber, wie wohl das eigentliche Wesen des
schönen und strengen Mädchens aussehen möge. Sie konnte im Grunde lei-
denschaftlich sein, oder auch melancholisch, oder auch wirklich gleichmütig.
Jedenfalls war das, was man an ihr zu sehen bekam, nicht ganz ihre wahre
Natur. Über sie, die so frei zu
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