Die Erziehung - Roman
Worten hatte ansprechen wollen. So folgte er dem Paar gegen seinen Willen auf die Straße hinaus, bestürzt, dass sie bereits die Blicke auf sich zogen. Bestimmt fragte man sich, aus welch eigenartigem Grund die beiden diesen keinesfalls Vertrauen erweckenden Kerl mit sich herumschleppten.
Als sie die Spelunke betraten, zeichneten ihre Atemstöße weiße Wölkchen in die Luft. Sie setzten sich etwas abseits von den anderen, und Gaspard ließ sich auf seinen Stuhl fallen, musterte den fremden Mann. »Er heißt Louis«, flüsterte ihm Emma ins Ohr. Der Name kam ihm auf der Stelle anmaßend vor, genauso wie sein asketisches Gesicht, die Gruben in den Wangen, die Hose aus Baumwollsamt und die Sicherheit des Mannes, die ihn reizte. Emma machte keinen Hehl aus ihrem Entzücken: Jede Regung ihres Körpers drückte Seligkeit aus. Unentwegt flogen ihre Hände auf seine Schulter, seinen Arm, den Nacken, drückten sich in sein Fleisch wie kleine Zähne, als müsste sie sich durch den Biss von der Anwesenheit des Mannes, von seiner Zugehörigkeit überzeugen. Sie tranken, und Gaspard blieb der Zuschauer ihrer Verführung. Er beobachtete sie voller Verachtung, während sie ihn, ganz im Bann ihrer Zärtlichkeiten, bereits vergessen hatten, hasste sie, dass sie ihn dazu erniedrigten, an ihrem Tisch zu sitzen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu verdienen. Er beneidete sie um diese Freude, die Emma verwandelte, sie weiblicher machte, ihren Zärtlichkeiten Würde verlieh. Louis begann ihn zu interessieren. Die Rohheit seiner Manieren passte bestens in die von Arbeitern und Handwerkern rangelvolle Taverne. »Ich wohne im Hotel«, sagte er zu Emma, »und heute Nacht schläfst du bei mir.« Sie jubelte, bedachte Gaspard, der am liebsten verschwunden, nie hergekommen wäre, keines Blickes. Sollte er diese Gefühlsergüsse über sich ergehen lassen oder aufstehen und wortlos gehen? Als er mit Etienne zusammen war, hatte er manchmal gedacht, dass der Tod ein Segen gewesen wäre, wenn er ihn in jenem Augenblick überrascht hätte, in dem er das intensive Vergnügen auskostete, bei ihm zu sein, in dem es keiner Worte bedurfte und das Schweigen genügte, um sie in einem tiefen Einverständnis zu vereinen – oder was er damals für ein tiefes Einverständnis hielt. In einer Sekunde des Glücks dahingerafft zu werden, hätte es noch gesteigert, unumstößlich gemacht. Während er Emma zusah, konnte er erraten und ersehnen, was sie empfand. Aber er, der wusste, wie vergeblich es gewesen wäre, für Etienne zu sterben, für einen Augenblick, der einzig für ihn voll der Magie war, spürte auch die Lust, sie zu ohrfeigen, zur Vernunft zu bringen, ihr zu sagen, dass es auf dieser Welt kein Glück gab, keine Freude, die keine Augenwischerei war und nicht früher oder später entlarvt würde. Wenigstens half ihm der Alkohol, sich ein wenig zu entspannen. Das Kerzenlicht fiel auf die gläserne Flasche in der Mitte des Tisches, warf seladongrüne Flecken auf ihre Gesichter. »… ich werde ihm von dir erzählen«, sagte Louis zu Emma, »ich werde sagen: Ich habe die schönste und begabteste Tänzerin von Paris entdeckt.« – »Du hast mich doch noch gar nie tanzen gesehen!«, frohlockte sie. »Ich habe dich gesehen, das reicht mir.« Er küsste sie, und Gaspard kam es vor, als fräße er ihr Gesicht. Wer war er, dieser Mann, rätselte Gaspard, um solche Versprechen zu machen? Seine Neugier, aber auch seine Gereiztheit, waren geweckt. Er konnte nicht anders, als für Louis ein lebhaftes Interesse zu verspüren, seinen Charme zu sehen, für den er nicht unempfänglich war. Emma schien im Übrigen zu glauben, dass er kurz davor stand, ihren Traum zu verwirklichen, als bräuchte man sie dafür nur auf die Bühne zu schubsen. Während sie sich vorstellte, wie ihre so oft wiedergekäuten, verworfenen, illusorischen Wünsche Wirklichkeit wurden, kamen die Zweifel: »Aber eigentlich kann ich gar nicht richtig tanzen. Ich sehe gerne beim Tanzen zu, das ja, aber ich selbst würde mich dabei bestimmt lächerlich machen, dick wie ich bin.« Louis lachte, ein Lachen der Gefälligkeit, dazu bestimmt, sie zu beruhigen, zu ihrem Spott zu beglückwünschen, ihre Worte zu entkräften: »Du bist perfekt. Glaub mir, du wirst es schaffen, man muss beobachten können.« Emma stimmte zu, wieder von Hoffnung erfüllt, die den zerknirschten Ausdruck des Zweifels von ihrem Gesicht verjagte, und ermutigte ihn, sich noch ein Glas einzuschenken. Auch Etienne hatte Versprechungen
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