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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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zuzuhören, wenn sie von der Pracht des Louvres erzählte, ihre Wahl von Satinkleidern in exzentrischen Farben gutzuheißen, vor dem Funkeln der Schmuckstücke, die Louis ihr unbedingt schenken wollte, in Verzückung zu geraten. Da er sie nicht verdrießen wollte, pflichtete er ihr in allem bei und musste sich eingestehen, dass er sie noch immer um die Gefühlsseligkeit beneidete, die sie mit Louis verband. Emma und Gaspard lagen auf dem großen Bett. Das erste Frühlingslicht durchflutete das Zimmer und verfing sich in Emmas Haaren, verwandelte sie in einen Strom, auf dessen Oberfläche kleine Wellen spielten. Jede von ihnen fing das Licht auf, hielt es einen Augenblick fest und gab es in einem großartigen Kaleidoskop wieder frei. Gaspard ließ sich von ihrer Anwesenheit berauschen. Die goldene Wärme streifte ihr Gesicht, brachte die Zeit im Zimmer zum Stehen, verbannte, was jenseits der Mauern die Reste einer unfassbaren Welt ausmachte. Es gab nur ihn, Gaspard, und Emma, durch wenige Zentimeter Stoff voneinander getrennt, die Falten eines Kleides, das Klimpern eines aus der Hand gerutschten Colliers, das nun über den Satin kullerte. Ihre Stimme war lebhaft, ihre Worte belanglos, aber was kümmerte ihn ihr Inhalt, Gaspard wusste, dass sie sich wieder zusammengefunden hatten, zu einem allzu seltenen Wohlbehagen.
    »Weißt du«, sagte Emma unvermittelt, »ich mach mir nichts vor.« Gaspard antwortete nicht, nahm ihre Hand mit der Perlenkette und ließ sie über seine Handfläche rollen. Sie fühlte sich wie Stein an, etwas weicher vielleicht, und der Gedanke an ihren Wert gefiel Gaspard. »Die Hotels, die Kutschen, der Schmuck … Er lässt sich einen Haufen Sachen schenken, die er dann weiterverkauft. Er spricht von einem großen Kredit, er zeigt Briefe, die ihn überall einführen, schlägt Geschäfte mit dem Ausland vor. Er hat ein flinkes Mundwerk, aber ich will nicht, dass du mich für eine dumme Göre hältst. Ich weiß, dass ich nur eine Hure bin und er ein Betrüger.« – »Das hab ich nie gedacht«, sagte Gaspard. Er log. Emma ließ sich nach hinten fallen, streckte sich auf dem Rücken aus. Die Matratze quietschte. Ziseliert wie die Steine, die noch immer durch Gaspards Hand glitten, zeichnete sich ihr Profil ab. Von diesem Gesicht strahlte das Licht wie bei einem Sonnenaufgang. Von einem Augenblick zum anderen konnte hinter dem Horizont der Stirn, der Spitze der Nase, dem Tal der Lippen oder der Erhebung des Kinns ein Stern auftauchen. Lange betrachtete er diese cremefarben getönte körperliche Landschaft. »Mir sind schon einige untergekommen. Eigenartig, wie mich nichts mehr überrascht, verstehst du? Nichts wundert mich, nichts empört mich. Nicht einmal, dass man mich ausnutzt. Die Straßen wimmeln von Gaunern wie ihm, die meinen, durch Leidenschaft und Tücke betrügen zu können. Dabei sieht man ihnen überhaupt nichts an. Sie sind zuvorkommend, stinken nach Geld, sprechen mit goldener Zunge, glänzen in der Gesellschaft. Sie haben einen guten Riecher und stacheln die Neugier mit Anekdoten an, sie schmeicheln ständig, aber immer nur genauso viel, wie es braucht. Sie haben Geschmack und Maß, plündern und verschwinden, hinterlassen Schulden und Bankrott. Louis sagt, dass ich ihm gefalle, und ich würde es gerne ein wenig glauben. Vielleicht stimmt es ja sogar? Ich habe nicht das Benehmen einer Dame, kann nicht reden wie eine Dame, also sag ich mir, ich muss wohl etwas andres haben, kann nicht ganz missraten sein.« Gaspard streckte die Hand aus und legte sie auf ihren Arm. Er war überrascht, wie weich und weiß ihre Haut war. Sie schien die Verlängerung seines eigenen Körpers zu sein. »Ich habe das Gefühl, jemand anderer zu sein, also was soll’s, dass er mich anlügt, ich lüge mich ja selbst an. Wenn wir beide diese Lüge vergessen, kommt es mir manchmal so vor, als ob alles wahr wäre, als ob man es nur denken müsste, damit es so bleibt und immer so weitergeht.« – »Ja«, sagte Gaspard, »das hat keine Bedeutung.« Er empfand tiefes Mitgefühl für Emma, hatte Erbarmen mit ihrem so vollkommen geformten Körper, der sich schemenhaft in den Fensterscheiben spiegelte. Er hat ihr nie von Etienne erzählt und von dem Schwindel, dem er selbst aufgesessen war. »Bin ich lächerlich?«, fragte sie und wandte ihm das Gesicht zu. In ihrem Blick lag etwas anderes als die Erwartung eines Trostes, in ihrer Frage weit mehr als die Angst, erbärmlich zu sein. Sie flehte ihn an, ihr zu sagen, ob

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