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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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vom Boden. »Wohin gehst du?«, fragte Emma, als er aus der Tür gehen wollte. »Das hier verkaufen«, antwortete er. »Behalt das Geld. Ich werd wieder anschaffen«, sagte sie, »wir werden wieder zusammen sein.« Sie versuchte die Trostlosigkeit ihrer Worte zu maskieren. Gaspard nickte, wollte antworten, aber brachte nur eine Grimasse zustande. Er ergriff die Flucht.
    Das Treiben auf der Straße besänftigte ihn. »Aus dem Weg! Aus dem Weg!«, schrie ein Salzträger und wäre beinahe gegen ihn geprallt. Der Gedanke, dass er sich von Emma entfernte, erleichterte ihn, und er drückte das Kleid unter seinen Arm, ließ eine Hand in die Hosentasche gleiten, um sich zu vergewissern, dass das Perlencollier noch immer da war. Die Luft war lau, fühlte sich feucht an auf seiner Haut, doch hinter den Mauern der Fassaden brannten noch immer die Feuer, und in den Straßen hing der Nebel wie ein Gazeschleier, der Gaspard von der Pariser Wirklichkeit trennte. Er ging, zugleich in der Straße präsent und von ihr losgelöst, und was er von der Stadt wahrnahm – das Sammelsurium ihrer Gerüche aus den Fleischereien, Friedhöfen, Spitälern, Färbereien und Gerbereien –, war weit genug entfernt, um angenehm zu erscheinen. Gaspard dachte an das Geld, das er aus dem Verkauf des Colliers und des Kleides erlösen würde, überlegte, ob er sich davon einen Anzug schneidern lassen sollte. Schwarz passte immer, und Gaspard hatte in der Stadt dunkel gekleidete Herren gesehen. Sie hatten ihn alle beeindruckt. Diese Aussicht stimmte ihn fröhlich, und er sah die Möglichkeit, dem Viertel den Rücken zu kehren, in greifbarer Nähe. »Heute ist es ganz einfach möglich«, sagte Gaspard. Er hatte Recht gehabt, von Louis zu fordern, das Kleid und die Kette dazulassen, ganz gleich, was Emma dazu sagte. Er verkaufte das Collier für eine anständige Summe. Das Geld schien in der Tiefe seiner Tasche zu leuchten, das Licht auf seinen Schenkel auszustrahlen, seinen ganzen Körper mit Selbstsicherheit zu füllen. Er tätschelte mit der Handfläche seine Hose, drei freundliche Schläge, drei Liebkosungen, die sich seiner Anwesenheit versicherten aus Angst, es könnte sich verflüchtigen. Dieses Geld hatte nichts gemein mit dem der Freier, er hatte es nicht mit dem Opfer seines Fleisches verdient – der Gedanke, dass Emma genau das dafür getan hatte, streifte ihn, aber er verscheuchte ihn gleich wieder –, und die Vorstellung, einen Schneider aufzusuchen und stolz seinen Anzug zu bezahlen, beflügelte ihn. An einer Straßenecke tauchte ein Atelier auf. Er blieb stehen, zögerte. Durch das Schaufenster sah er Stoffberge, zwei Arbeiterinnen an ihren Tischen, wacklige Regale. Dieser Augenblick vor dem Betreten des Ateliers, in dem er auf der Straße stand, sein Vorhaben greifbar nahe, während um ihn herum die Stadt von dem Tohuwabohu der Droschken und Passanten wimmelte, war erregend. Der Schleier war verflogen, Gaspard stand mit sicheren Beinen auf dem Boden der Stadt. Er war überzeugt, dass er auf den paar Schritten, die ihn von der Werkstatt trennten, das Freudenhaus hinter sich lassen konnte. Er setzte seine ganze Hoffnung, die durch die Begegnung mit Louis und den Verkauf des Colliers aufgekeimt war, in diesen Gang. Die zahllosen Leben um ihn herum wurden unbedeutend. Der Atem von Paris setzte aus, wartete auf Gaspards Entscheidung, die Werkstatt zu betreten oder seinen Weg fortzusetzen. Wieder kamen die Zweifel, und er dachte an Emma. Gaspard hatte nur eine sehr diffuse Vorstellung davon, was er tun würde, wenn er wieder aus dem Laden kam. Ein Anzug war nichts, schon am selben Abend musste er wieder nach Hause zurückkehren oder aber ein Zimmer finden, falls ihm etwas Geld übrig blieb. War es nicht unmoralisch, den Erlös darauf zu verwenden, müsste er den Gedanken nicht von sich weisen? Dieser Anzug würde ihn von Emma befreien. Es war ihm klar, dass er mit dem Bordell auch Emma hinter sich lassen würde. Emma, die ihm das Geld gegeben, ihm versprochen hatte, dass sie wieder zusammen sein würden, erwartete seine Rückkehr und seine Dankbarkeit. Aber, sagte er sich, hatte sie ihm nicht ebenso vor ein paar Wochen den Rücken zugedreht, als sie Louis getroffen hatte und ihr seine Gesellschaft entbehrlich schien? War es nicht verständlich, dass er nun, da er es für notwendig hielt, ebenfalls verschwand? Dieser Gedanke beruhigte ihn, und so beschloss er, das Atelier zu betreten, und mit dem ersten Schritt Richtung Tür streifte er, als

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