Die Erziehung - Roman
Heute fand er an diesem Gemälde keinen anderen Reiz als den, es von oben betrachten zu können, mit Neugier, ohne dass es etwas mit ihm zu tun hatte. Dieser Gedanke stärkte ihn für das Wiedersehen mit Emma. Er ahnte, dass auch sie die Gleiche geblieben war, unwandelbar wie die Straßen von Paris.
Als er an der Tür des Freudenhauses ankam, vergewisserte sich Gaspard, dass seine Perücke richtig saß, strich seine Jacke und das Leder seiner Schuhe glatt. Als er durch die Tür gehen wollte, trat einer der Jungen, mit denen er das Zimmer geteilt hatte, hinter einem Kunden auf die Straße hinaus. Keine Sekunde lang hatte er sich vorgestellt, er könnte mit einem von ihnen zusammentreffen. Er trat zur Seite, und als der Junge auf der Straße war, trafen sich ihre Blicke, bevor Gaspard seinen abwenden konnte, verärgert, dass er aus dem Konzept gebracht wurde. Der Junge schien ihn zu erkennen, und die Neugier auf seinem Gesicht wich einem Erstaunen, das mit Verachtung durchzogen war. »Ich komme Emma besuchen«, sagte Gaspard, ohne ihm Zeit zu lassen, etwas zu sagen. Der andere prustete los und spuckte auf die Erde. Er sah, dass der Junge ihn verabscheute: »Wurde auch Zeit, lange wird sie nicht mehr da sein.« Dann ging er ohne eine Geste oder einen Gruß davon. Gaspard sah zu, wie er sich entfernte, überlegte, ob er seinem Beispiel folgen sollte. Wollte Emma die Stadt ebenfalls verlassen? Vielleicht sollte er sie gehen lassen, ohne ihr ein Hindernis in den Weg zu stellen. Er wollte diesem Gedanken gerade Folge leisten, als er, von einem Impuls ergriffen, fand, er könne den ganzen Weg nicht umsonst gemacht haben. Emma wiederzusehen, das bedeutete die Vergewisserung, dass es kein Zurück mehr gab, und er kam also zu ihr, um sie zu benutzen, so wie er gelernt hatte, die anderen zu benutzen. Darüber war er sich absolut klar, während er vor der Tür stand und das Tageslicht auf seine rechte Schläfe fiel. Der Junge verschwand um eine Straßenecke. Wie hieß er noch? Hatten sie einander gestreichelt? Unwichtig, ob er zurückgekommen war, um Emma zu sehen, aus Vergnügen oder um eine Überlegenheit über sie unter Beweis zu stellen, die ihn überzeugte, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben; Gaspard empfand keinerlei Schuldgefühl, nur das Bedürfnis, diesen Zweifel zu beseitigen, den seine Langeweile ausgebrütet hatte. Wenn ich gekommen bin, um mich von Emma abzuheben, ist noch alles möglich , dachte Gaspard und ging über die Schwelle. Im Haus war fast kein Laut zu hören. Irgendwo miaute eine Katze. Er blieb einen Moment reglos stehen, betrachtete die Krümmung der Wände, den Wahnwitz dieses Gebäudes, in dem sich alles vor Dreck und Feuchtigkeit bog. Wie unvorstellbar, dass er hier hatte leben können! Voller Wut und Scham schloss er die Tür hinter sich, damit er nicht mehr in Versuchung kam, die Flucht zu ergreifen. Er ging die Treppe hinauf, jeder Schritt verlangte eine beträchtliche Anstrengung. Oben angekommen ging Gaspard zu Emmas Zimmer vor, während er mit den Fingern über den Strohlehm der Wände strich. Die Tür war zu, und er wünschte, sie wäre bereits gegangen, ohne den Jungen informiert zu haben. Er klopfte trotzdem, erhielt keine Antwort. Erleichtert seufzte er auf, zog ein Paar Handschuhe aus der Tasche und wollte sie überstreifen und sich davonmachen. Das wilde Klopfen seines Herzens bremste ihn. Wie dumm du bist , sagte er sich, wovor hast du dich denn gefürchtet? Eine Stimme in seinem Rücken antwortete ihm, und er zuckte zusammen: »Wer ist da?« Er erkannte die Frau nicht, die hinter ihm stand. Sie beäugte ihn misstrauisch, und er begrüßte sie mit einem Kopfnicken: »Ich bin ein Freund von Emma, ich will sie besuchen, aber es scheint, dass sie bereits weggegangen ist.« – »Emma empfängt schon lange keine Kunden mehr, geh mir aus dem Weg«, erwiderte die Frau. Er konnte ihr Gesicht nur undeutlich sehen, aber sie war rundlich, ihre Stirn und ihre Nase glänzten im Halbdunkel. »Sie verstehen mich falsch«, sagt Gaspard. Dann erklärte er: »Ich habe hier gelebt.« Die Frau musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Vielleicht wissen Sie, wo ich sie finden kann?«, fragte Gaspard aus Höflichkeit, denn er wäre lieber gegangen. Die Frau zögerte einen Augenblick, dann trat sie vor, schob ihn an die Wand, bevor sie einen Schlüssel aus der Tasche zog und ins Schloss steckte. »Ich kümmere mich drum«, warf sie Gaspard zu. Sie öffnete die Tür einen Spalt, trat beiseite und machte
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