Die Erziehung - Roman
denken, an seine Begeisterung, als sich vor seinen Augen der Salon enthüllt hatte. Er sah vor sich, wie er Etienne zur Tür folgte, aus der der gedämpfte Klang von Stimmen drang. Von der anderen Seite des Raumes lächelte ihm Adeline zu. Ein Luftzug ließ ein malvenfarbenes Band vor ihrem Gesicht flattern. Gaspard verbeugte sich, trat vor, um ein paar Bekannte zu begrüßen, achtete dabei auf seine Haltung, zeigte sich beflissen. Etiennes Bild verließ ihn nicht mehr, es schwebte vor seinen Augen, legte sich auf die fremden Gesichter. Es war legitim zu zweifeln, ob der Comte überhaupt existiert hatte. Konnte sich Gaspard denn noch mit Gewissheit an sein Gesicht erinnern, oder setzte er es aufs Geratewohl aus Bruchstücken dieses begehrten, arglistigen Fleisches zusammen? Aber hatte er es nicht, durch eine Verkettung der Umstände, Etienne zu verdanken, dass er in diese Gesellschaft aufgenommen war? Gaspard versuchte sich ins Gedächtnis zurückzurufen, dass er nichts als seine Vernichtung im Sinne geführt hatte, verscheuchte dann die Erinnerung, um sich auf die Gelegenheiten zu konzentrieren, die der Abend zu bieten hatte. Doch der Gedanke an den letzten Satz des Comte de V. stimmte ihn verdrossen. War dieser Rat nicht der Grundstein sowohl für seinen Fall wie auch für seinen Aufstieg gewesen?
Durch die Türen sah er in den Park hinaus, wo zwischen Bäumen und plätschernden Fontänen Fackeln brannten. Gaspard ließ den Blick durch den Saal schweifen, versuchte das Unbehagen abzuschütteln, das seine Brust heraufkroch. So wie er beim Betreten des d’Annover’schen Salons das Gewicht eines Blicks auf seinem Körper gespürt hatte, bemerkte er nun, dass er von einem Mann eindringlich gemustert wurde. Jener war von einer Schar Frauen umringt, die sich die gepuderten Gesichter fächelten und den Alten sichtlich gleichgültig ließen. Mehrere Meter trennten Gaspard von dem Kreis, doch der intensive Blick ließ keine Zweifel offen. Vertraut mit diesen verstohlenen Augenspielen, fühlte Gaspard, wie sich sein Magen zuschnürte. Er empfand Ekel vor sich selbst, aber auch den Jagdtrieb. Zum Glück näherte sich Adeline, die Gaspards Kommen zum Vorwand nahm, sich für einen Augenblick bei ihrer Mutter zu entschuldigen. Die Comtesse d’Annovres, in ihrer besten Aufmachung, einem beigefarbenen, goldbestickten Kleid, hielt durch ihren breiten Reifrock die Menge auf Distanz. Der Anblick war zum Totlachen, und Gaspard hätte beinahe losgeprustet, als Adeline ihn ansprach. »Na, waren Sie vom Erdboden verschluckt worden?« Ist sie begehrenswert? , fragte sich Gaspard. Er musste sich eingestehen, dass ihm der Gedanke gefiel, sie zu besitzen, auch wenn er nichts mit ihr anzufangen wusste, es sei denn, sich davon zu überzeugen, dass er sie erobert hatte. »Ich war für ein paar Tage abwesend, aber da bin ich wieder.« Sie nickte und wagte nicht weiter nachzufragen. Er setzte eine geheimnisvolle Miene auf und unterdrückte die Lust, sie zu umarmen, um ihre festen Brüste zu spüren. Sie hatte nie aufgehört, seine Anwesenheit als legitim anzusehen. Dafür schätzte er Adeline, hielt sie aber gleichzeitig seiner Zuneigung für unwürdig.
Der alte Mann ging, sein Gefolge im Schlepptau, in den Garten hinaus. »… denn wir fahren bald«, sagte Adeline, »und Mama hat davon gesprochen, Sie einzuladen, uns zu folgen. Sie wird es Ihnen natürlich selbst sagen, also tun Sie so, als wüssten Sie nichts davon.« Der Gedanke, Paris zu verlassen, die ständige Anwesenheit des Comte d’Annovres ertragen zu müssen, stieß ihn ab. Ein Hausdiener ging mit dem Tablett in der Hand vorbei, bot ein Glas Champagner an. Gaspard bediente sich und trank einen Schluck, bevor er antwortete: »Ich wäre entzückt, aber ich kann noch nichts Genaues sagen. Wollen wir ein wenig an die frische Luft hinaus? Nehmen Sie meinen Arm, ich bitte Sie.« Sie errötete, warf ihrer Mutter einen Blick zu, die sie mit einer Kinnbewegung ermunterte, dann umfasste sie seinen Ellbogen mit den Fingerspitzen. Gaspard, gedanklich mit dem Edelmann beschäftigt, achtete nicht mehr auf Adelines Worte.
Der Baron Raynaud ließ seinen Blick gleichgültig schweifen und legte ihn dann auf den Jungen, der die Terrasse betrat. Fackelschein erhellte die warme Luft. Raynaud dachte, dass es für einen Mann, der nichts für diese Soirées übrighatte, bereits spät geworden sei. Er betrachtete die Formen der Äste, die sich auf der Hauswand abzeichneten, die Gebilde, die wie
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