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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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er ihn noch immer nahm. Der andere wehrte sich, Gaspard hielt stand und legte ihm den linken Arm um seinen Hals. Er musste kommen, wenn er nicht die Herrschaft über diesen und seinen eigenen Körpers verlieren wollte. Er drückte zu, nicht um den Stalljungen zu erdrosseln, sondern um ihre beiden Wesen miteinander zu verbinden, ihr Fleisch zu vereinen, um wenigstens eine Spur von Gefühl zu empfinden. Der Junge rang nach Luft, versetzte Gaspard mit dem Ellbogen einen Schlag in die Seite. Sie schwankten, fielen ineinander verhakt zu Boden und rollten über das Stroh. Endlich gelang es dem Stalljungen, sich zu befreien, und er stand hastig auf, fasste sich mit der Hand an den Hals, wich Richtung Tür zurück. Gaspard blieb liegen, die Hose auf den Knöcheln, das Hemd hochgerutscht, während sein Geschlecht noch immer gegen seinen Bauch schlug. Die beiden Männer sahen sich schweigend an, wogen beide das Geheimnis, das sie fortan miteinander verband, dann machte Gaspard mit der Hand eine beruhigende Geste und richtete sich mühsam auf. Der Junge rührte sich nicht, starrte ihn verblüfft an. Auf seinem Hals zeigten sich blaue Striemen. Wortlos zogen sie sich an, und Gaspard ging mit schmerzendem Bauch hinaus.
    Halb besinnungslos taumelte er durch den nächsten Tag. Die Männer organisierten eine Parforcejagd und drängten ihn, sie zu begleiten, da der Baron zu schwach war, um die Reihen zu stärken. Er sagte gleichgültig zu, denn der folgende Tag schien ihm in weiter Ferne zu liegen. Die Présidente war begeistert und gab in den Küchen Anweisung für die Zubereitung von Wildbret. Gaspard döste in einem der Salons inmitten der von d’Uzens und Valny ausgebreiteten Karten vor sich hin. Es war von einem neuen Gast die Rede, der für den Abend erwartet wurde, aber Gaspard achtete nicht darauf. In seinem Dämmerzustand vermischte sich der Körper des Stallburschen mit dem des Barons, jugendliche und welke Häute verwoben sich miteinander. Die Présidente de Cerfeuil sorgte sich um seinen Zustand, und er sprach von einer vorübergehenden Müdigkeit. Man riet ihm, sich aufs Zimmer zu begeben und sich auszuruhen. Gaspard gehorchte.
    Einmal allein, zog er die Vorhänge zu. Ein paar widerspenstige Strahlen spannten Lichtfäden durch die Luft, in denen träge der Staub von den Tapisserien hing. Einer der Streifen fiel im ins Gesicht, lief über seinen Körper. Er zog sich aus und betrachtete die Linie auf seiner Haut, die sich mit den Spuren des Einschnitts kreuzte. Gaspard rieb sich die Hände, strich sich über die Brust, über sein verklebtes Glied, ballte die Fäuste und klopfte sich auf die Schenkel. Was konnte er tun, um dieses Territorium zurückzuerobern? Hatte er nicht um ein Haar einen Mann erwürgt? Doch nicht um das Leben des Stallburschen ging es ihm; die Verzweiflung, nichts gespürt zu haben, beschäftigte Gaspard. Der Comte, der Baron, die Kunden: Pausenlos kehrte er dahin zurück, pausenlos erinnerte ihn ihre Tyrannei, dass es kein Entrinnen gab, wie auch immer er sich zu befreien suchte. Sein Fleisch war ein sicheres Gefängnis, dem zu entweichen unmöglich war. Er fand die Spiegelscherbe da, wo er sie versteckt hatte. Die Geste schien unausweichlich.
    »Wünscht Monsieur zu jagen?«, fragte Mathieu. Gaspard wachte auf. Am Fußende des Bettes stand Raynauds Diener. »Die Weckfanfare wurde geblasen«, sagte der Junge. Seine Schläfrigkeit verflog, Gaspard streckte sich und warf einen Blick zum Fenster. Der Morgen war kaum angebrochen. Das Zimmer roch nach Frische und Dämmerung, nach der erloschenen Kohle im Ofen. Er nickte. »Ich bringe Ihnen Wasser.« Der Garçon verließ das Zimmer und schloss lautlos die Tür. Als er zurückkam, betrachtete Gaspard die Gärten im aufkeimenden Tageslicht. Die Farben der Beete waren nur mit Mühe zu erkennen, doch er erinnerte sich an die Anordnung der Hecken, das Labyrinth der Gebüsche, die marmornen Najaden auf den Fontänen: Dies alles schuf eine Morgenstimmung, die ihn faszinierte, und er überblickte zufrieden den riesigen Besitz der Présidente de Cerfeuil. Etwas weiter weg bellten die Hunde aufgeregt in der Vorfreude auf die Jagd. Mathieu füllte das Becken, das in der Nacht wieder das Blut aus der Wunde aufgenommen hatte. Ein Schamgefühl streifte Gaspard, doch so kurz, dass er es nicht zu identifizieren wusste. Raynauds Garçon legte das Nötige für die Rasur auf dem Toilettentisch bereit und wartete schweigend, bis der Meister seine Betrachtung abgeschlossen

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