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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sich hin murmelt, obwohl sie gegangen sind. Sie kommen nur mühsam voran, die Holzschuhe versinken im Schlamm. Der Wald wirft graue Schatten auf die Ebene. Der Boden ist klebrig, Flechtenduft erfüllt die Luft, aus der Erde steigt pflanzliche Fäulnis auf. Gaspard riecht auch den Schweiß des Vaters. Die Ausdünstung – schwer und säuerlich, er kennt sie gut – verursacht ihm Brechreiz. Auch dieses Gefühl der Übelkeit ist ihm bekannt, die Überzeugung, das Herz in der Kehle zu haben, als wäre es aus seiner fleischernen Hülle, aus seinem Rippenbett herausgerissen und unter die Glottis geworfen worden, wo es ihm den Hals abschnürt. Er könnte es ausspucken, dieses Herz, auf ein schwarzes Mooskissen. Die Haut von Gaspards Füßen schürft am Holz der Schuhe. Er lehnt sich an einen Baumstamm, um sich ein wenig zu erholen, fühlt seine Klebrigkeit in seiner Handfläche. Der Vater treibt ihn vorwärts. Er zwängt seinen schwerfälligen Leib durch die Brombeersträucher, schnieft, schnäuzt sich, verbreitet seinen Schleim über die Dornen, wischt ihn mit dem Handrücken aus dem Gesicht. Der glänzende Rotz verklebt seine Nasenhaare. Er bleibt stehen, vor seinen Füßen die Spuren des Schweins. Etwas weiter weg auf einer Wurzel Exkremente. Gaspard geht vorwärts, schätzt die Tiefe des Waldes ab. Vater und Sohn liegen auf der Lauer. Man könnte meinen, sie wären Jagdkomplizen, wüsste man nicht um die Tragödien, die sie trennen. Von weitem hören sie ein Grollen, das mächtige Rauschen der Fluten. Der Erzeuger grunzt vor Befriedigung, hebt eine Hand, schlägt sie dem Sohn auf die Schulter, stößt ihn vorwärts.
    Sie begaben sich zu den Stallungen. Etienne ging voraus, ohne Gaspard zu beachten, und unterhielt sich mit d’Uzens, während er mit der Gertenspitze auf seinen Schenkel klopfte. Gaspards Angst schwand. Etienne verriet nichts, freute sich vielmehr gelassen über den Zufall und die Umstände, die sie bei der Présidente de Cerfeuil zusammengebracht hatten. Er zögerte jedoch: Hatte der Graf, als er zu schweigen beschloss, während sie einander vorgestellt wurden, Gaspard damit nicht in der Gesellschaft platziert? Er hatte nicht geleugnet, dass sie sich kannten, und gewährte ihm die Anerkennung einer Verbindung. Fürchtete Etienne denn nicht, dass Gaspard ihn in seinem Absturz mitzog, seine Macht zu denunzieren versuchte? Da er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte, spielte er das Spiel des Comte de V. mit. Er ging hinter den anderen her, ohne die Verwirrung loszuwerden, die sich zwischen ihn und die Welt legte, sie seinem Verständnis entzog. Gaspard spürte seine Müdigkeit, seinen schmerzenden Bauch und die Taubheit seiner Wunde. Er fuhr mit der Hand über seinen Verband, nahm die Berührung aber nicht wahr. Sein Fleisch entzog sich, als wäre es beweglich, jedoch zugleich tot. Gaspard machte Etienne für diesen Verlust der Empfindung, die Fremdheit seines Körpers verantwortlich. Auf irgendeine Weise ist er der Strippenzieher , dachte er in seiner Verwirrung. Er verstand diesen Rückfall nicht. Irgendwann hatte er den Gedanken aufgegeben, den Grafen wiederzusehen. Der Adel ist eine kleine, hinterhältige Welt , dachte er. Etiennes Gang schürte seinen Zorn, als sie sich den Ställen näherten. Die Pferde waren gesattelt und warteten im Freien. Der Geruch nach Tieratem, Hafer, Heu und Leder drang zu ihnen, und Gaspard fiel der Stallbursche ein. Beim Gedanken an den lasziven Körper, an sein gedrungenes Geschlecht wurde ihm übel. Er warf einen verstörten Blick zu den Männern in den Ställen, erinnerte sich aber nicht an das Gesicht, sodass es ihm nicht möglich war, den Jungen, dessen Körper er einen Tag zuvor besessen hatte, von den anderen zu unterscheiden. Willenlos ließ er sich in Richtung des Hundegebells treiben.
    Am Rand des Waldes versammelte sich die Jagdgesellschaft und wartete auf die Rückkehr des Hundeknechts mit dem Pikör. Ein Reh hatte ganz in der Nähe unter Eichen und Hartriegel übernachtet. Die Erde war aufgescharrt, die Bäume wiesen Reibstellen auf. Die Brunftzeit hat begonnen, erklärte d’Uzens jedem, der es hören wollte, und das Tier hatte mit der Sekretion seiner Stirndrüse sein Revier markiert. Der Pikör hetzte die Meute auf, und man schickte sich an, die Hunde loszulassen. Gaspard hörte das Kläffen, die Anweisungen des Duc de Valny, aber keine erreichte ihn. Er beteiligte sich an der Jagd, als würde er eine Szene auf der Tapisserie im Salon der Com-tesse

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