Die Erziehung - Roman
nicht bereits tot war.
Der Baron ergriff seine Hand und tupfte ihm die Stirn mit einem feuchten Lappen ab. Diese Fürsorglichkeit zeigte Gaspard die große Zuneigung, die Raynaud für ihn empfand. Das war mehr als das Vorrecht des Gönners, er wollte etwas über den Körper hinaus, um dessen Genuss es ihm zu Beginn gegangen war. Gaspard ärgerte sich über diese Aufmerksamkeiten, verabscheute die Anwesenheit des Barons, hatte aber nicht die Kraft, sich dagegen aufzulehnen. »Sie haben eine Infektion, verschlimmert durch einen Sonnenstich. Die Jagdpartie in Ihrem Zustand war leichtsinnig«, erklärte Raynaud. Er wurde von einem starken Hustenanfall durchgeschüttelt, und Gaspard versuchte sich aufzurichten, doch der alte Mann drückte mit vorwurfsvoller Hand seine Schultern zurück. »Der Arzt empfiehlt Ruhe und Aderlass.« Der Geliebte fiel keuchend auf die Matratze zurück. Von draußen drang kein Laut ins Zimmer. Gaspard wollte Etienne sehen, sich von seiner Gegenwart überzeugen, aber das Schloss schien wie ausgestorben. Er war zusammen mit Raynaud in das Zimmer eingesperrt. Mit der Rückkehr des Comte de V. war das Bedürfnis nach seiner Nähe wieder erwacht, eine Welt aus den Fugen geraten, die Gaspard endlich für beständig gehalten hatte. Er brannte darauf, aufzustehen, das Zimmer zu verlassen und die Gänge nach Etienne de V. abzusuchen. Raynauds Hand am Ende seines schmächtigen Armes, dessen schlaffes Fleisch, dessen Muskelzittern Gaspard nur zu gut kannte, drückte mit solcher Kraft auf seine Schulter, dass er ans Bett genagelt blieb und ihm eine Flucht unmöglich war. Er musste sich der Umklammerung überlassen, der Feuchtigkeit der Laken, einem Schlaf, in dem noch die Eindrücke der Jagd herumspuken würden; und vielleicht, in einem grellen Traum, die Tötung des Wildes, die Wassertropfen auf Etiennes Gesicht. Fürsorge und Ängstlichkeit spiegelten sich auf Raynauds Miene. »Die Wunde auf Ihrem Bauch«, sagte er mit leichter Verlegenheit, »ist verbunden worden. Wie zum Teufel ist das passiert?« Der Schnitt, begriff Gaspard, war für alle sichtbar, bestimmt auch Etiennes Urteil ausgesetzt gewesen. In seiner fiebrigen Verwirrung kehrten der Zorn und die Demütigung zurück, die die Auseinandersetzung mit Mathieu ausgelöst hatte, und drückten auf seine Schläfen. »Ich weiß es nicht«, stotterte Gaspard und schob eine Hand unter das Laken, um den Verband zu berühren, unter dem die Wunde zitterte, zu wachsen schien. »Es muss beim Sturz passiert sein«, folgerte Raynaud, aber Gaspard merkte am Ton seiner Stimme, dass er es nicht glaubte und die Diagnose des Arztes kannte. »Sie sind in den Fluss gefallen«, fügte der Baron hinzu und tupfte beflissen den Schweiß von seiner Stirn. Sie schwiegen. Ist das die Angst, mich zu verlieren, die ich in seinen Augen lese? , fragte sich Gaspard. Fürchtet er, ich könne sterben, oder macht ihm seine Zuneigung für einen Strichjungen zu schaffen? Er verabscheute den Baron, drückte den Arm weg, der noch immer seine Schultern umfasste, während die andere Hand sich an seiner Stirn zu schaffen machte. Die Kraft des Schlages, den er ihm versetzte, brachte Raynaud aus dem Gleichgewicht. Er taumelte zurück und wäre beinahe von seinem Stuhl gefallen. Seine Hand hielt noch immer den Lappen. Das Wasser in der Porzellanschüssel schwappte über den Rand. Der Baron zitterte stärker als gewöhnlich, sein Arm fiel im selben Augenblick, da Gaspard seinen auf das Laken legte, auf sein Knie. Wie konnte er nur glauben, dass Gaspard dieses Mitleid wünschte, diese ungeheuerliche Zärtlichkeit, diese zu Tode betrübte Miene? Gaspard machte entschlossen die Augen zu, rührte sich nicht mehr, wartete darauf, dass Raynaud das Zimmer verließ. Der Baron konnte nicht die Anwesenheit und die Gesten ersetzen, die Gaspard von Etienne de V. ersehnte. Er wusste nicht, wo sich der Comte befand, warum er nicht bei ihm wachte. Verdiente er noch immer seine Gleichgültigkeit? Hatte Gaspard nicht das Recht, endlich Antworten zu bekommen? Draußen ging die Sonne unter, und die Wärme erreichte Gaspards Beine. Er fühlte sich benommen. Das Zimmer wurde durch seine Lider hindurch zu einer leuchtenden, beängstigenden Abstraktion. »Wo bist du?«, murmelte Gaspard und zerknüllte das Laken mit seinen feuchten Händen.
Raynaud tauchte nicht mehr auf. Als Gaspard in der Nacht erwachte, schlief Mathieu in einem Sessel. Die Jagdkleidung war verschwunden. Ein Feuer beleuchtete die Tapisserien und
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