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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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mittelmäßigen Geist je entsprungen war und ihm ein Fundament ermöglicht hatte, war, dieser Erwartung zu entsprechen, indem er Perücken anbot, deren Herstellungskosten niedrig und deren Verkaufspreis vernünftig war. Das Ganze musste von guter Ausführung sein, er achtete sorgsam auf die Qualität seiner Arbeit. Billods Perücken waren objektiv besehen nicht mehr und nicht weniger gut als die der großen Perückenmacher, die den Hof belieferten, mit dem Unterschied, dass sie für die Marquisen von Wenig und die Gräfinnen zu Nichts bestimmt waren. Jeder von ihnen begegnete er mit einer unerschütterlichen Unterwürfigkeit, mit geradezu maßloser Affektiertheit, was nicht selten Anlass zu Erheiterung gab. Er puderte sich das Gesicht, trug auf dem linken Backenknochen eine Mouche zur Schau, die er retuschierte, damit sie ein vollkommenes Rund bildete. »Dies«, so meinte er, »mildert die Unterschiede ab.« Mit derselben Absicht bat Billod Gaspard, sich abseits zu halten, um jeden ungeziemenden Kontakt zu vermeiden.
    Die Damen kamen in Gruppen. Sie machten es sich im Atelier gemütlich, um zu plaudern, den Klatsch und die Gerüchte vom Hof auszutauschen, während sie die Anproben kommentierten. Der Sommer verging allmählich, doch die Tage waren noch immer warm. Die Damen fächelten sich Luft zu, erfüllten den Raum mit schweren Parfüms, Düften von Bergamotte, Eau de Cologne, Rosen- und Lavendelwasser. Gaspard, reglos in einer Ecke der Werkstatt, beobachtete diesen Ball der Kurtisanen mit leichter Übelkeit, denn der Geruch griff seine Nase an, zog ihm den Magen zusammen. Billod hingegen bewegte sich in dieser gesättigten Atmosphäre wie ein Fisch im Wasser. Tatsächlich regte ihn dieses Parfüm an. Der Duft der Bourgeoisie hatte eine aphrodisische Wirkung auf ihn, und während er auf der Suche nach Modellen von einem Regal zum nächsten huschte, färbten sich seine Wangen rosarot, auf seiner Stirn perlte Schweiß, sein Atem hechelte, und er stieß spitze Schreie des Entzückens aus: »Oh!«, »Ja!«, »Genau so!«, »So ist gut!«, »Ah!«, »Herrlich!«, »Fantastisch!« Die Damen mokierten sich hinter ihren Fächern über sein Gebaren, seine Aufmachung, die bestickte Pluderhose, die Hemden mit den extravaganten Manschetten, die Ringe, die seine Hände beschwerten. Das ist, sagten die einen, das sichere Zeichen für das Talent des Künstlers. Und die anderen stimmten mit Überzeugung zu. Gaspard hatte bald herausgefunden, dass Billod, wenn er auch kein künstlerisches Talent besaß, sein Können doch recht klug einsetzte. Er hatte wertvolle Verbindungen zu Zulieferern, bei denen er Rabatt für Stoffe und Fasern bekam. Er färbte sie mit Farbstoffen zu herabgesetzten Preisen, parfümierte sie daraufhin sparsam mit einer in Wasser verdünnten Essenz aus Erika. Billod änderte Dutzende von Modellen je nach Jahreszeiten und Moden um. Nie kreierte er selbst eine Frisur. Er konnte stundenlang vor der unförmigen Masse einer Perücke sitzen, angeblich von einem ununterdrückbaren Bedürfnis, einer brillanten Idee beseelt, geriet aber bald in Zorn, weil er von Gaspard abgelenkt wurde, schickte ihn hinaus, eine Besorgung zu erledigen, bat ihn eingehend, erst in der Nacht wiederzukommen. Bei seiner Rückkehr fand der Lehrling den Meister schnarchend vor dem Entwurf einer Perücke und einer leeren Flasche Wein. Niedergeschlagen, eine Müdigkeit vorschützend, die ihn am Schöpfen hindere, bat Billod Gaspard, die Schaufenster der anderen Perückenmacher auszuspähen, auf der Straße den Strömungen und dem Geschmack nachzuspüren. Er drängte ihn, etwas zu skizzieren, aufzuzeichnen, wenn auch nur in groben Zügen, denn um nichts in der Welt hätte er sich herabgelassen, auf diese Weise nach einer Inspiration zu suchen, die sich nicht einstellen wollte. Eine Idee zu stehlen . Allein das Wort erfasste ihn mit Schaudern. Dabei erwartete seine Kundschaft keineswegs Neuerungen von ihm, sondern einfach, dass er dem Geist der Zeit folgte. Nachahmungen störten sie nicht, sie forderte sie geradezu. Justin Billod ließ durchscheinen, sie seien seine Idee gewesen. Er liebte es, von seinen Eingebungen zu erzählen. Und man glaubte ihm gerne, da er seine Berichte mit zahlreichen Einzelheiten ausschmückte. Was ist denn schon dabei, sagte er zu Gaspard, wenn sie allein waren und er einen anklagenden Blick aufzufangen meinte, er hatte einen Parfümeur namens Baldini gekannt, der in seiner Kunst ähnlich vorgegangen war.
    Im Atelier gab

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