Die Erziehung - Roman
konnte doch von Investition keine Rede sein. In manchen Monaten war es nicht einfach, die Zulieferer zu bezahlen. Gaspard wollte trotzdem an die Möglichkeit eines Aufstiegs glauben. Er hätte auch seinen eigenen bedeutet. So stimmte er, wenn Billod von diesem Plan sprach, mit Vehemenz zu.
Der zweite Stock war für die Wohnung des Meisters reserviert. Er erreichte sie durch eine Tür im hinteren Raum der Werkstatt. Gaspard betrat sie, um Wasser zu bringen, und manchmal lud ihn der Mann, bereits betrunken, zu einem Glas ein. Die Unterkunft bestand aus vier Räumen, die mit Möbeln, Orientteppichen, Vergoldungen, Wandbehängen, Sesseln und Chauffeusen vollgestopft waren. Es roch nach einem Weihrauch, den Gaspard für Billod bei einem Importeur für chinesische Waren im Viertel kaufen musste. Er war bis auf die Knochen damit durchtränkt. Stets hing dieser Rauch in der Luft, der in den Augen und im Hals brannte, doch, davon war Billod überzeugt, eine reinigende Wirkung hatte.
Eines Abends, als er bereits eine Flasche Wein geleert hatte, rief er, bis Gaspard zu ihm kam, und der Lehrling fand seinen Meister in die Kissen gefläzt, mit einem dieser Morgenmäntel aus Satin bekleidet, deren Namen er gelehrt aussprach: kimono . Unter den Schatten, den Falten des Stoffes erahnte man seinen fetten Körper durch den erstickenden Nebel des Weihrauchs. Er forderte Gaspard auf, sich ein wenig neben ihn zu legen, ein Glas mit ihm zu trinken. Er hatte seine Perücke nicht auf, und auf seinem Schädel glänzte im Kerzenlicht der Hauttalg. Gaspard murmelte irgendeine Entschuldigung und verließ den Raum, ging im Laufschritt die Treppe hinunter. Billod bestand nicht darauf. An den folgenden Tagen zeigte er sich schweigsamer als gewöhnlich. Dann schien die Geschichte vergessen, aber in Gaspards Vorstellung blieb das Bild dieser schwitzenden Haut haften, die behaart war wie die eines Schweins. Dabei dachte er überhaupt nicht mehr an Quimper, ein Umstand, dessen er sich erst hätte bewusst werden müssen, um sich zu wundern.
Gaspard wohnte im Untergeschoss. Von der Treppe zur Straße zweigten ein paar Stufen zu einer Tür im Halbdunkel ab, durch die man einen Keller erreichte. Er führte zum Hof und den Latrinen, die sich das Gebäude mit den Nachbarhäusern teilte. Nachts oder frühmorgens leerte jeder in Paris seinen Abortkübel eilig in den dunklen Winkel eines Hofs, eine Straßenecke, aus einem Fenster oder auch von einer Brücke direkt in die Seine. Die Gruben waren schlecht gebaut und verfielen zusehends. Ihr Inhalt sickerte in die Brunnen, aus denen die Bäcker das Wasser für die Zubereitung ihrer Brote holten. Die Krume war stets von einer suspekten Farbe. Was immer man zu sich nahm, noch das gewöhnlichste Lebensmittel, setzte sich aus dem Ausfluss tausender Pariser Gedärme zusammen. Gaspard hatte gesehen, wie am Morgen die Grubenentleerer ihre bräunliche Ernte in die Kanalisation und die Bäche schütteten. Diese dickliche Schlacke strömte zum Fluss, wo sich kurze Zeit später die Menge der Wasserträger drängelte und die Schande in ihre Eimer schöpfte. Diese Brühe diente der morgendlichen Reinigung und stillte den Durst der Pariser. Gaspard hatte mit dem Gedanken gespielt, Grubenentleerer zu werden. Seit einiger Zeit offerierten die Behörden ein nicht unwesentliches Angebot: ein Krankenhausbett im Falle von Krankheit und die Sicherheit, dass die Grundbedürfnisse weiter befriedigt wurden, wenn die Arbeit ausgehen sollte. Aber er kannte auch die Risiken des Berufs. Die Männer, die ständig bis zur Hüfte in diesem Dreck steckten, für Tage ins Innere der Gruben hinabstiegen, um ganze Eimervoll herauszuziehen, starben an fürchterlichen Krankheiten. Und außerdem , hatte Gaspard zweifelnd überlegt, wie konnte denn die Arbeit in diesem Metier überhaupt ausgehen?
Vom Hintergrund der Werkstatt verbreitete sich der Exkrementgeruch großzügig bis in den Keller. An Regentagen, hatte ihn Justin Billod gewarnt, kam es vor, dass die Abortgrube überlief. Durch das Gefälle wurde der Keller dann mit einem unappetitlichen Schlamm gefüllt. Dies war nur einmal vorgekommen, aber er betete, dass es auch das letzte Mal gewesen war: Die Werkstatt hatte noch wochenlang nach Menschenkot gerochen. Billod hatte seinen gesamten Vorrat an Weihrauch aufgebraucht, und die angewiderten Kunden hatten sich anderswo nach Perücken umgesehen. Der Lehrling, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte, war gezwungen gewesen, auf einem
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