Die Erziehung - Roman
Hunger auf die von den Marktbuden ausströmenden Düfte aufmerksam. Aus den Wirtshäusern strömte der Geruch von gemahlenem Kaffee, regte seine Speicheldrüsen an, die ihren Saft unter die Zunge strömen ließen. Behelfsmäßige Tische standen bis in die Straßenmitte. Die Kutschen, wahre Höllengefährte, streiften sie beim Vorüberfahren, sodass sich niemand dort hinsetzte. Die Männer zogen es vor, sich gegen die klebrige Schwärze der Tresen zu drücken, um ihre ersten Gläser Schnaps hinunterzustürzen. Eine Alte zog einen Karren mit Ziegenmilchtöpfen an ihm vorbei. Die Flüssigkeit schwappte über, floss auf den Lehm, erinnerte an überlaufenden Samen. Die Sahne schwamm in dicken Klumpen auf der Oberfläche. Es roch nach Ziege und Milch, nach warmem Euter. Gaspard spürte, wie sein Magen eine dröhnende Klage ausstieß, und beschloss, die Milchfrau zu rufen. Er streckte ihr eine Münze hin. Sie durchsuchte die Tasche einer verbeulten Schürze, zog eine Tonschale daraus hervor, die sie in die Milch tauchte und zur Hälfte füllte. Sie musterte Gaspard, füllte sie dann bis zum Rand. »Viel zu mager für sein Alter«, sagte sie. Ihr Lächeln entblößte einen zahnlosen Mund. Gaspard führte die Schale an die Lippen. Die Milch strömte in seinen Mund, lief ihm in die Kehle und offenbarte ihren Geschmack. Gaspard kaute die Sahne und gab der Alten die Schale zurück. Ihr Gesicht war ledern, ihre Lippen eingestülpt, als würden sie von innen angesogen, auf dem Kinn schimmerte ein Bart. Er empfand einen Anflug von Zärtlichkeit, die ihn verwirrte, eine Dankbarkeit des Bauches. Sie hob eine Klammer auf, tätschelte seine rechte Wange und ging weiter, die Last hinter sich herziehend, die für ihr Alter viel zu schwer war.
Es blieb ihm fast kein Geld mehr. Im Weitergehen dachte er, dass er die Sachen, die er Lucas überlassen hatte, doch hätte verkaufen sollen. Lucas, an den er zum ersten Mal zurückdachte, seit er weggegangen war, der bereits zu den Erinnerungen gehörte. Er stellte es mit Erleichterung fest. In einem schäbigen Theater wurde Der Barbier von Sevilla gespielt. Gaspard nahm sich vor, sich irgendwann ein Stück anzusehen. Vor dem Eingang manipulierte ein Marionettenspieler zwei düstere Figuren. Eine Menschengruppe amüsierte sich über ihre ruckartigen Bewegungen, und Gaspard blieb stehen, um der Vorstellung kurz zuzusehen. Die Marionetten, Gesichter aus Holz und Körper aus Stoff, stritten sich um ein gestohlenes Huhn. Die Stimme des Artisten gab ihren Wortwechsel in entsetzlichem Krächzen wieder. Die Fäden gingen durch den Stoff, durchlöcherten Schädel, Hände und Füße der Figuren. Gaspard stellte sich vor, wie er diese Fesseln zerschnitt und den Hampelmännern ihre Freiheit gab, ahnte jedoch, dass sie in sich zusammensacken, zu bloßen Lumpen werden würden, denn ihr Leben hing an der Verbindung zum Marionettenspieler. Und was bewegte Gaspard? Da war nichts, das ihn vorwärtstrieb. Gab es dann, über seine Existenz hinaus, einen Willen, der ihm entging? Er rieb sich die Handrücken, setzte seinen Weg fort. Sein menschliches Los verdammte ihn zum Herumirren. Er achtete nicht auf seine brennenden Füße, ging immer weiter, bis er zur Notre-Dame-Brücke kam, über die er den Fluss zu überqueren beschloss, der unter ihm dahinfloss, vom morgendlichen Treiben bereits in Beschlag genommen. Sein Herz begann zu trommeln, als er seinen Fuß auf die Brücke setzte. Er holte tief Atem, ging vorwärts, die Hand auf dem Geländer, den Blick auf das andere Ufer gerichtet. In der Mitte zwang er sich endlich, sich der Seine zuzudrehen, die er weit überragte. Gleichgültig lief das Wasser in unergründlichen Tiefen unter ihm vorbei, da und dort blitzte der Himmel darin auf. Es schien ihm, dass auch er sich in den Fluss werfen könnte; das Geländer zu übersteigen wäre ein Kinderspiel, und einzig diese Bewegung trennte ihn von seinem Tod. Mit einem Schritt konnte er dem Stumpfsinn seiner Existenz ein Ende setzen. Genau wie Martin Legrand einem unlösbar scheinenden Problem eine Lösung anbieten. Diese naheliegende Möglichkeit, ihre banale Machbarkeit, eröffnete in ihm einen Abgrund der Versuchung. Wie eigenartig, dass der Mensch so von der Leere angezogen wird , dachte Gaspard. Er fröstelte trotz der trockenen Hitze auf seinen Schultern. Der Fluss wartete, lasziver, geduldiger Liebhaber, bereit, die Arme zu öffnen. Gaspard wich zurück, um sich vor sich selbst zu schützen. Ein Kutscher schrie, er
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