Die Erziehung - Roman
erschöpft zurück, ließ sich im Dunkel des Kellers auf die Matratze fallen. Den Fluss nicht zu sehen – er richtete es stets so ein, ihn nicht überqueren zu müssen, auch wenn er dafür eine Kommission in Auftrag geben oder einen Träger bezahlen musste – war genauso unerträglich, wie ihn präsent zu wissen, für alle Zeiten präsent, vor ihm und nach ihm, auch wenn er seinem Blick entzogen war, eine in der Stadt schwärende Wunde. Lag er im Bett, dachte Gaspard an nichts mehr. Er horchte auf die Geräusche der Ratten, die ihre nächtlichen Ausflüge unternahmen. Er verfolgte die Schatten des Mondes auf dem Deckengewölbe, und sein Geist verlor sich in dieser Bewegung. Manchmal fiel ihm Lucas ein. Dieser tauchte auf wie ein vergessener Überrest, in der nächsten Sekunde schrecklich präsent. Manchmal fehlte ihm seine Freundschaft. Gaspard unterdrückte das Bedauern, erinnerte sich daran, wie sehr Lucas ihn an seinem Vorwärtskommen gehindert hatte. Er runzelte die Brauen im Halbdunkel. Diese Tatsache verlor sich zusammen mit Quimper in dem unergründlichen Abgrund seiner Erinnerungen. Nichts aus dieser Zeit war mehr greifbar. Und doch überfiel ihn, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, noch immer eine diffuse Unzufriedenheit, eine unauffüllbare Leere, ein Durst nach … »Wonach?«, murmelte er im Halbschlaf.
Es gab einige Stammkunden im Atelier. Mit der Zeit lernte Gaspard sie kennen. Madame de Nerval hatte durch eine vorteilhafte Verehelichung den Titel einer Marquise erworben. Das Paar verfügte über einige Ländereien in der Normandie, einen ansehnlichen Besitz, lebte aber in Paris, wo Monsieur seinen Geschäften nachging. Sie hatte in der Werkstatt bekannt gegeben, wie sehr ihr Mann sie mit den Unannehmlichkeiten seiner Arbeit verschonte, die ihm selbst so sehr zu schaffen machten. »Ununterbrochen verstimmt, selten zum Plaudern aufgelegt und sehr empfindlich. Kaum den Lärm der Kinder kann er ertragen.« Monsieur und Madame hatten zwei kleine Mädchen, so blond wie charmant. Madame de Nerval, höchst besorgt um die Gesundheit ihres Gemahls, flehte ihn immerfort an, ein paar Tage frei zu nehmen, mit der Familie in die Normandie, in die Nähe von Evreux zu fahren, wenn auch nur für eine Woche, wenigstens eine Woche. Er lehnte ab, hüllte sich wieder in sein Schweigen. »Ich habe ihn angefleht, sich mir anzuvertrauen, mit mir zu reden, etwas zu sagen. Ich bin seine Frau, ich müsste doch auch seine Vertraute sein«, weinte sie vor dem Perückenberg und der zerknirschten Miene Billods, in einem Versuch, teilnahmsvoll zu erscheinen gegenüber diesem ganzen Leid. Doch Monsieur sprach nicht, bat, man solle ihn seinen Gedanken überlassen. Er blieb immer öfter weg, arbeitete zu unmöglichen Zeiten, was gar nicht vernünftig war für einen Mann seines Standes. Madame schöpfte Verdacht, fürchtete, seine Geschäfte gingen schlecht. Blind und wahnsinnig erklärte sie sich zu allen erdenklichen Opfern bereit, dachte in seiner Anwesenheit laut nach mit dem Ziel, ihn dazu zu bringen, ihr sein Geheimnis anzuvertrauen, dass sie über ihre Verhältnisse, in zu großem Luxus lebten. Es war zu viel! Viel zu viel! Warum konnten sie sich nicht mit einem kleinen, gut gehaltenen Haus begnügen, schlug sie selbstlos vor. Die Kinder würden sich nur umso wohler fühlen! Es gab sehr hübsche Gärtengrundstücke in Paris. Zu ganz angemessenen Preisen! Und außerdem scherte sie sich nicht um die Meinung der Leute, hatte niemandem Rechenschaft abzulegen! Madame war mit sämtlichen Einschränkungen einverstanden, doch ihr Gemahl sagte keinen Ton, hörte schon gar nicht mehr zu. Madame de Nerval, deren Gemüt zur Ängstlichkeit neigte, sah, wie sich sein Zustand verschlimmerte: »Verstehen Sie mich richtig, unsereiner kann nicht allzu viel Unruhe vertragen, wir sind es nicht gewohnt. Es ist etwas anderes bei Leuten, die nichts haben, sie werden damit groß, sind ohne Unterbrechung gefordert. Wir aber, sehen Sie …« Sie appellierte an Billod, mitfühlend zu sein, sie zu verstehen, glaubte, das Ausmaß ihrer Toleranz unter Beweis zu stellen, indem sie Gaspard zwischen zwei Tränen ein flüchtiges Lächeln zuwarf. Und sie bekam Anfälle, bei denen sie zu ersticken drohte, manchmal das Bewusstsein verlor. Man musste sie am Salz riechen lassen, um sie aus ihrer Ohnmacht zurückzuholen. Dann war sie bleich wie eine Tote, konnte sich kaum auf den Beinen halten, ließ sich auf das nächstbeste Sofa sinken. Der
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