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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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so gefragt in den Salons und bei den Diners?« Ärgerlich, dass man so ahnungslos sein konnte, würde der Perückenmacher die Schultern zucken: »Na aber, liegt das denn nicht auf der Hand? Trotz allem ist der Comte de V. ein Ästhet und überaus galant. Er ist ein unverbesserlicher Schmeichler, das macht ihn unwiderstehlich. Ist er denn nicht schrecklich anziehend? Niemand versteht es wie er, Leidenschaft zu entfachen. Er ist feinsinnig und scharfsichtig und kennt alle Regeln so gut, dass er sich ihrer mit Bravour bedient. Und sein Äußeres schließlich, man kann es nicht anders sagen, ist höchst angenehm. Ein Empfang in seiner Anwesenheit ist ein gelungener Abend, an dem man nicht müde wird, Ereignisse und Gesten, die Blicke eines jeden zu kommentieren, die zurückgehaltenen Leidenschaften zu erraten. Wo er den Fuß hinsetzt, folgen Skandale, und Bourgeoisie wie Adel lieben nun mal nichts so sehr wie Skandale. Er hat die Angewohnheit, plötzlich zu verschwinden, aufgrund zwielichtiger Affären wohl, um mit neuen Abenteuergeschichten, Lügenmärchen und Zoten wiederaufzutauchen, die man sich in den Salons zu Gemüte führt. Über ihn sind Gerüchte im Umlauf, aber nichts, was man bestätigen könnte, nichts, das die Welt zwingen würde, ihn mit Schande zu behaften. Er ist von tadelloser Erziehung, von einer Höflichkeit, die den Männern gefällt, einer Zuvorkommenheit, die die Frauen rührt. Und darum, Sie haben es erraten, muss dieser Kunde mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt werden.« Gaspard würde mit dem Kopf nicken, ohne den Blick von der Tür wenden zu können, durch die der Graf eben hinausgegangen wäre.
    Aber zunächst einmal kam er herein. Gaspard fiel seine stattliche Erscheinung sofort auf. Der Kunde begrüßte Billod und überflog mit gelangweiltem Blick die Werkstatt. Als er Gaspard bemerkte, wie immer reglos in einer Ecke des Raumes, musterte er ihn von Kopf bis Fuß, ohne von seinem Lächeln abzulassen. Gaspard hielt seinem Blick nicht stand und wandte die Augen zu Boden. »Was sehe ich da, Billod, einen neuen Lehrling? Was machen Sie mit den anderen? Fressen Sie sie auf?« Billod tat empört. Der Kunde trat vor und streckte die Hand aus. »Etienne de V.«, sagte er. Die Hand war trocken, der Druck schneidend. Das Gesicht des Jungen lief rot an, er wollte seinen Namen sagen, brachte aber nichts als einen Hauch über die Lippen. Er war es nicht gewohnt, von den Kunden begrüßt zu werden, jedenfalls mieden sie den körperlichen Kontakt eines Händedrucks. Er bemerkte den Unmut Billods, der sich nach der Gesundheit des Grafen und nach Neuigkeiten erkundigte. »Paris ist immer noch Paris, sich selbst gleich, öde und langweilig. Und das wohl noch lange, nicht wahr?« Billod wagte sich vor: »Aber hören Sie, was wissen denn Sie von der Langeweile?« Der Graf lächelte: »Die Geschäftigkeit, Billod, ist eine Verlockung, die Sie gut kennen, aber die Langweile … Die Langeweile ist eine offene Wunde unserer Welt, die durch nichts geheilt werden kann. Man kann sich höchstens ein wenig zerstreuen und sich noch mehr betrügen. Wir haben uns so weit von unseren Leben entfernt, sind uns selbst so fremd, dass eine Rückkehr unmöglich ist.« Der Perückenmacher hüstelte, dann fing er an, die neuesten Modelle vorzulegen. Der Graf nickte geduldig, würzte Billods Worte mit lautmalerischen Ausrufen. Zweimal warf er einen Blick auf Gaspard, der noch immer stumm dastand. Der Lehrling beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Der Mann war keine fünfundzwanzig Jahre alt. Sein Gesichtsausdruck, der zwischen Ernst und Spott schillerte, hatte feine Spuren in der Haut hinterlassen. Gaspard fiel die präzise Zeichnung der gekräuselten Nase unter der energisch gebogenen Stirn auf. Die Brauen akzentuierten die Kurven der Augenhöhlen, fielen gegen den Nasenrücken ab, wo sie einen Winkel bildeten. Als der Graf seine Perücke ablegte, fielen ihm die Haare wirr über die Schläfe, auf der über dem großen Flügel des Keilbeins der Verlauf einer Ader zu erahnen war. Der Mund war leicht gerötet vom Wind, der seit drei Tagen durch die Stadt peitschte, durch einen sorgfältig gestutzten Schnurrbart betont, einen dunklen Strich auf weißer Haut. Der stämmige Hals verschwand in einem gestärkten Hemdkragen, den eine Schleife an den Hals drückte. Bei jedem Schlucken rollte der Adamsapfel unter der Haut auf und ab. Gaspard erriet die kräftigen Brustmuskeln, den flachen Bauch unter seinen Kleidern. In den Bewegungen des

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