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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Trächtigkeitsdauer aufweist. Er hinterließ mehrere Beispiele für das, was er als Frucht der Paarung zwischen einem Menschen und einem Tier hielt: ein Kind mit Elefantenkopf, ein Hundekind mit menschlichen Füßen und Händen und ein Ferkel …« Auf Gaspards Stirn glänzte der Schweiß. Das Bild des Bastardwesens, die Vorstellung der Unzucht eines Mannes mit einer Sau stieß ihn ab. In den Alkoholdämpfen kamen ihm Zweifel: War er nicht Licetis Ungeheuern vergleichbar? Er betrachtete seine Arme, das schmutzige Rosa seiner Haut, und sein Magen zog sich zusammen. »… halb Mensch, halb Schwein«, fuhr Etienne fort, »er sprach von einem Kalb mit Menschengesicht, das die Dorfbewohner zum Feuertod verurteilten, gemeinsam mit der Kuh, die es hervorgebracht hatte, und dem Hirten, seinem Vater …« Gaspard schüttelte sich, versuchte sich wieder auf Etiennes Gestalt und auf seine Worte zu konzentrieren, ihren dumpfen Klang, um sich zu beruhigen, zurück in die Schenke zu finden. Und wieder schaffte er es, die Erinnerung an die Vergewaltigung, aber auch an den Fluss und die ganze Stadt zu vertreiben. Das schmutzige Wirtshaus wurde zu einem zeitlosen Ort, an dem es nur noch den Comte, seine tiefe Stimme, seine Gesten gab. Er sprach in gleichgültigem Ton, doch Gaspard erkannte am Glanz in seinem Blick, dass es ihm gefiel, betrunken zu sein, er spürte, wie der Wein die Zeit aufhob, größerer Vertrautheit Platz schuf. Der Alkohol verscheuchte seine Zweifel und seinen Argwohn, und er überließ sich dem Genuss dieses Zusammenseins. Doch da erhob sich der Graf völlig unerwartet und bezahlte. »Es ist spät geworden, gehen wir«, sagte er. Gaspard folgte ihm.
    Die Straße war nicht weniger belebt als zuvor, die Nacht noch immer von regenfeuchtem Mief erfüllt. Etienne blieb stehen, schien einen Augenblick nachzudenken, dann drehte er sich zu Gaspard: »Ich gehe in die andere Richtung. Ich lasse Sie allein nach Hause gehen.« Gaspard nickte, fühlte einen heimtückischen Groll in sich aufsteigen, da der Graf diesem Abend mit einer unerbittlichen Härte ein Ende setzte. Vielleicht hatte er es gemerkt, denn er legte eine Hand auf Gaspards Schulter: »Morgen zur selben Zeit. Ich werde unten auf Sie warten.« Dann ging er über die Straße davon.
    Gaspard folgte ihm mit dem Blick. Er bog um die Ecke, wo ein paar Stunden zuvor das Paar verschwunden war. Sein Rausch brachte die Häuserfassaden zum Schwanken. Er stützte sich an eine Wand, bevor er vorsichtig weiterging. Mit seinen Gedanken beschäftigt irrte er durch die Gassen, noch immer unter der angenehmen Wirkung der Zecherei. Er nahm die Stadt nur undeutlich wahr und empfand ihr Verblassen als Erleichterung. Paris lockerte seinen klammernden Griff, ließ dem Grafen Platz. Die Allgegenwart des Flusses existierte nicht mehr. Er konnte durch die Straßen gehen ohne das Gefühl, von ihnen verschlungen zu werden. Die Passanten, die es eilig hatten, ihre Behausungen aufzusuchen, waren eine von ihm getrennte, gleichgültige Masse. In der Ferne ertönten dreiundzwanzig Glockenschläge. Gaspard wurde von einem Wagen gestreift, warf sich gegen die Mauer. Als er den Gestank der Pferde, den animalischen Schweiß roch, lief ihm der Speichel über das Kinn. Wie betäubt schloss er die Augen, holte tief Luft. Eine sinnliche Ruhe überkam ihn, als er sich vorstellte, dass Etienne, ganz in der Nähe, genau wie er durch die Stadt ging, und er dachte beglückt daran, dass sie sich bald wiedersehen würden. Dann beschloss er, sich zu beeilen, damit Billod sein Verschwinden nicht bemerkte. Er ging eine trotz der späten Stunde noch rege, von Fackeln erleuchtete Gasse hinauf. Undeutlich sah er einen Schatten, der sich an der Häuserwand entlangschwankend auf ihn zubewegte: Erst dachte er an einen Betrunkenen und ging schneller, um nicht belästigt zu werden, doch als er näher kam, erkannte er einen Greis, der ihn mit weit aufgesperrten Augen schweigend anflehte.
    Der Alte stank. Ein fäkaler Geruch ging träge, aber beharrlich von ihm aus, ein scharfer, bissiger Mief. Der Kot beulte seine Hose aus, behinderte seinen Schritt. Gaspard stellte sich vor, wie er als lauwarme Kruste über die Schenkel lief, die Hautfalten füllte, den Stoff seiner Leinenhose verdunkelte, sich ausbreitete, Geschlecht und Unterleib beschmierte, die welke Oberhaut reizte und zum Bluten brachte. Als er den Mund öffnete, das Chaos seiner schwarzen Zähne entblößte, entstieg dieser Höhle ein Röcheln, ein Atemzug, der

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