Die Erziehung - Roman
den Geruch dieser inneren Marasmen mit sich führte. Der Atem stank nicht anders als ein Darmwind, der als letzte Schranke die rissigen Lippen passierte, sich wie aus einem Weihrauchgefäß erhob, die ganze Atmosphäre belegte, alles durchdrang, sich auf die Haut, auf die Haare heftete, wie ein Parasit in den Nasen einnistete. Die Pariser waren Gestank gewöhnt, dieser aber war unmenschlich, und man wich zurück, hielt eine Hand oder ein Stück Stoff an die Nase, damit er nicht eindringen konnte. Einzig Gaspard, der mitten auf der Straße stand, konnte den Blick nicht abwenden von diesem Etwas, von dieser ausgerenkten Marionette, die sich auf ihn zu bewegte, eine Hand aus einem dreckigen Wollmantel herausstreckte, beides so schwarz, dass es unmöglich war, die Haut vom Stoff zu unterscheiden. Der Geruch ließ Gaspard auf der Stelle erstarren, nahm ihm jede Fähigkeit, sich vor dem Alten zu erschrecken oder vor dieser unförmigen Masse Reißaus zu nehmen, die ihm aus allen Löchern lief. Denn als ob der Gedanke an dieses Magma seinen Ausbruch auslöste, begann sich das Etwas auf einmal zu leeren. Unten nahm die Hose noch mehr von dieser mephitischen Last auf, hing zum Boden, behinderte die beiden dreckigen Stöcke, die seine Beine waren. Oben kroch es zwischen den Zähnen hervor, lief über das Kinn. Das Etwas gab einen schleimigen Rülpser von sich, kam trotzdem weiter auf Gaspard zu, die Hand erflehte ein Almosen, während die Augen in seinem Gesicht nach einer Erklärung für diesen pestilenzialischen Ausbruch suchten. Der Alte war jetzt nur noch ein merkwürdiger Apparat, dessen Ziel darin zu bestehen schien, sich aus sich selbst herauszukatapultieren. Immer weiter ergoss sich der Schlamm auf den Boden, und Gaspard sah nur noch eine gewaltige Kloake. Das Etwas tat noch ein paar Schritte. Die Hand streckte sich aus, ein Reflex, noch im Todeskampf gelang es ihm, diese Geste eines ganzen Lebens anzudeuten, anstatt sich zurückzuziehen, um im Hintergrund einer Gasse, vor Blicken geschützt, zu sterben. Bis zum Ende bettelte es, verlangte nach ein paar Münzen. Gaspard wusste, dass das Etwas nicht die Geistesgegenwart besaß, um Hilfe zu betteln, um ein bisschen Leben, eine Geste christlicher Nächstenliebe, nein. Nichts anderes hatte es von den Menschen zu erwarten als eine Münze, hingeworfen aus Verachtung und Abscheu, um sich den Frieden zu erkaufen, es in den Schatten, fern von allen Blicken, zurückzuschicken. Überwältigt von seinem Verfall streckte es die Hand aus, im Wissen, dass man es angesichts der Qualen, die zu dem Abscheu hinzukamen, bestimmt eilig hatte, ihm ein paar Sols ins Gesicht zu schleudern. Dann stieß das Etwas einen Laut aus. Einen lauten Rülpser, dem ein brauner, widerlicher Strahl folgte. Es zögerte, hielt zwischen zwei Schritten inne, senkte den Blick auf seinen frohlockenden Körper, hob ihn wieder, nicht ohne Überraschung, bevor es mit einem dumpfen, weichen Geräusch vor Gaspards Füßen zusammenbrach. Man schrie, man müsse Hilfe holen. Man schrie, man müsse diesen Abschaum von hier wegbringen. Man schob den Alten mit einer Schaufel an den Straßenrand, schüttete einen Eimer Wasser aus, um den bereits mit dem Straßenmatsch vermischten Schlamm zu beseitigen. »He da, was machst du da? Mach, dass du fortkommst!«, schrie jemand. Gaspard begriff, dass sich die barsche Stimme an ihn richtete, warf einen letzten Blick auf die geschrumpften Überreste des Etwas und schwankte davon.
Als er wieder in der Stille des Ateliers auf seiner Matratze lag, schien es Gaspard, dass Etiennes Gesellschaft zwar die Präsenz der Stadt in seinem Geist überdeckt hatte, doch der Tod des Alten ihm wie ein schlechtes Vorzeichen in Erinnerung rief, wie untrennbar er mit den Eingeweiden von Paris verquickt war. Und doch dünkte ihn, es sei ihm mithilfe des Grafen möglich, seinem Los zu entgehen. Vielleicht bot er die Gelegenheit, der Stadt zu entkommen, sie auszunutzen, um seine Ambitionen zu befriedigen. Der Abend hatte die Faszination vergrößert, seine Entdeckerneugier angestachelt. Durch seine halb geschlossenen Lider durchzog der Lichtschein von der Straße seine Gedanken mit opalfarbenen Wellen. Beim Gedanken an das Etwas zog sich sein Magen noch immer zusammen, doch mit zunehmender Schläfrigkeit verwandelte sich die Gestalt in die Etiennes, wie er sich von der talgigen Mauer der Herberge abhob. Sein stämmiger Nacken, die Form seiner Arme unter dem Stoff des Hemdes, die schräge Zeichnung seiner
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