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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Anwesenden. Man stritt sich, angeregt von den Getränken und Etiennes Worten. Dieser beugte sich zur Comtesse hinüber. Gaspard wich auf seinem Stuhl ein wenig zurück. Die Dame, die tat, als würde sie sich für das Gespräch zwischen den Gemahlinnen Lecat und Saurel interessieren, spitzte beide Ohren: »Wussten Sie, dass es heißt, die Pompadour habe gar nicht viel übrig für die Angelegenheit und sei überhaupt nicht sinnlich? Sie soll junge Mädchen engagieren, um die Bedürfnisse ihres Geliebten zu befriedigen. Das Schweigen der Kleinen wird teuer erkauft, und die Eltern ermutigen sie lebhaft, sich dem König hinzugeben. Die Vergnügungen sollen im Hirschpark stattfinden, einem hübschen Haus in Versailles.« Die Hausherrin ließ ein entzücktes Lachen erklingen und lief bis zu den Ohren rosarot an, weigerte sich aber, mehr zu sagen, als sie aufgefordert wurde, Details mitzuteilen. Dann wurden der Käse, die Desserts und das Obst gereicht. Man diskutierte noch eine Weile, und schließlich bat der Comte d’Annovres die Gäste in einen der Salons hinüber, um die Liköre und Branntweine zu kosten. Als man sich erhob, stieß Adeline zu Gaspard: »Sie haben sich sehr diskret verhalten«, sagte sie. »Ich habe nicht viel zu sagen«, wagte er. »Das macht nichts, aber sagen Sie das zu niemandem außer mir!« Er stellte fest, dass sich in ihrem Ohrgehänge das Licht der Lüster spiegelte. Sie ging zu den anderen Gästen ins Nebenzimmer, Gaspard folgte ihr mit langsamen Schritten. Er verließ den Raum als Letzter.
    Um die Tafel machte sich erneut das Heer der Bediensteten zu schaffen. Bevor er durch die Tür ging, blieb er noch einmal stehen, sah sich wieder am Tisch sitzen und wurde von einem Schwindel erfasst. Im Atelier hatte er ein wenig vom Alltag der Empfänge und der Salons mitbekommen, von denen die Kunden unablässig sprachen. Die Entdeckung dieser Welt jedoch verdankte er dem nach wie vor undurchdringlichen Etienne. Innerhalb von zwei Tagen hatte er ihm, nach einer langen Abwesenheit und einer erbarmungslosen Verachtung, den Schlüssel dazu in die Hand gedrückt. Gaspard hatte am Tag zuvor erkannt, dass diese Entwicklung sich nicht vollziehen würde, ohne dass er verleugnete, was bis dahin seine Existenz und seinen Charakter ausgemacht hatte. Als es ihm gelang, dieses Zugeständnis zu benennen und ins Auge zu fassen, erschrak er, bedeutete es doch nichts weniger, als einen neuen Menschen hervorzubringen. Unter dem Luxus der Stuckdecke, eine Hand an die feinen Tapisserien gelegt, dachte er kurz an seine Ankunft in Paris zurück, wie er die Rue Saint-Denis hinuntergegangen war. Hatte er sich damals nicht in einer ähnlichen Situation befunden? Durchaus. Aus dem Salon entwichen Tabakdüfte, Cembaloklänge. Er hörte die Stimme der Comtesse d’Annovres, die ihn nötigte, sich zu ihnen zu gesellen. »Haben Sie diesem Jungen die Zunge abgeschnitten?«, frohlockte sie. Im Speisezimmer faltete eine der Hausangestellten, ein junges Mädchen, das Tischtuch, als sich ihre Blicke begegneten. Sie wandte augenblicklich die Augen ab, schlug sie als Zeichen des Respekts nieder und verließ den Raum errötend und im Laufschritt. Gaspard war sich sicher, entlarvt worden zu sein. Er legte eine Hand auf das Messing der Salontür, zwang sich zu einem Lächeln, machte einen Schritt.

VI

DÜSTERE UMWEGE
    Billod hatte sich vorgenommen, seinen Lehrling zu ignorieren und keines Wortes mehr zu würdigen. Am Tag nach dem Diner bei der Comtesse d’Annovres gab er Gaspard einzig zu verstehen, dass er von ihm nun, da die Lehre nicht fortgesetzt wurde, erwarte, das Haus weiter in Ordnung zu halten. Im Gegenzug würde er ein Auge zudrücken, was seine Beziehung zu dem Comte de V. und seine nächtlichen Ausflüge betraf. Er würde sich mit der Situation abfinden, solange Gaspard während der Arbeitsstunden zur Verfügung stehe, damit die Kunden nicht argwöhnten, dass Justin Billod sich von einem Perückenmachergesellen auf der Nase herumtanzen ließ. Gaspard hatte rasch begriffen: Es galt, den Schein zu wahren. Billod musste in seinem Haus der Meister bleiben. Zu dieser Bedingung würde er seinen Platz behalten, und die beiden Männer würden ohne Krieg zu führen nebeneinander existieren. Vor den Kunden richtete er sich an ihn, um einen Befehl zu erteilen, doch wenn sie allein waren, zog er sich in den zweiten Raum der Werkstatt zurück und schloss die Tür sorglich hinter sich zu, damit Gaspard ihm nicht folgte. Begegnete Billod seinem

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