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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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zittern, und sein rötliches Gesicht leuchtete noch röter: »Wir waren viel zu geschwächt, um uns erneut darauf einzulassen! Es ist der reinste Wahnsinn! Wir bewegen uns auf eine Katastrophe zu. Noch vor der Kriegserklärung haben die Engländer drei Truppentransporte und über dreihundert Handelsschiffe aufgegriffen! Denken Sie nach! Die Marine des englischen Königs ist viel mächtiger als unsere.« Madame Lecat fügte hinzu: »Louis XV. wünschte den Frieden, doch England wollte sich rächen«, und tupfte sich etwas Sauce von den Lippen. »Man denke nur an die Ausgaben! Glauben Sie, das Land kann sich das erlauben?«, schrie nun Merlot. »Der König, Madame, wird von seinem Volk nicht mehr unterstützt. Sehen Sie doch, wie unbeliebt er ist, daran hat auch der Friedensvertrag von Aachen nichts geändert, ganz im Gegenteil, die Franzosen konnten es nicht verstehen, dass man die Steuern erhöht für Schiffe, die sofort untergehen.« – »Wir befinden uns in einer Zeit der Hungersnot«, äußerte die Marquise d’Évilly, doch man überhörte ihre Bemerkung, die von der Überfülle der Speisen auf dem Tisch Lügen gestraft wurde. Gaspard verfolgte das Gespräch, während er sich mit Teller und Besteck abmühte. Er traf den Blick von Adeline, die ein wissendes Lächeln an ihn richtete. »Der König, der König«, brüllte Merlot, der mit einem sehnigen Stück Fleisch kämpfte und nur noch halb zuhörte, »der König lässt sich sein Verhalten vielleicht allzu sehr von seiner Maîtresse diktieren. Das passiert, wenn man die Frauen an die Macht lässt.« Die Damen entrüsteten sich ein wenig. »Der Alkohol löst Ihre Zunge, Henri«, amüsierte sich Madame d’Annovres. »Er hat nicht Unrecht«, sagte Madame Lecat, »es gibt Entscheidungen, für die wir nicht gemacht sind. Geben wir dem Kaiser, was dem Kaiser gehört«, deklamierte sie emphatisch, wenn auch etwas unsicher über ihren Beitrag. »Ich weiß, was ich sage«, schrie Merlot zur Antwort, »das ist die Hauptsache. Wollen Sie etwa, dass man mich dafür vierteilt? Reden wir doch hier nicht um den heißen Brei herum. Wenn Madame de Pompadour Orry nicht vom Hof gejagt hätte, wäre es dann so weit mit uns gekommen? Nichts ist weniger sicher. Und warum? Was hat dieser Mann getan, werden Sie fragen. Er hatte keine Affinitäten zu den Pâris, die mit Madame befreundet sind! Einzig für dieses Verbrechen, falls das eines ist, setzte man ihn vor die Tür! Dasselbe gilt für Machault d’Arnouville. Und vergessen wir nicht, dass sie es war, die die Marineminister bestimmt hat.« Da mischte sich Etienne ein: »Minister Berryer ist weder eine Frau noch die Maîtresse des Königs, und doch ist genau er es, der, ohne eine Ahnung von der Marine zu haben, den Reichtum verschleudert durch die realitätsfremde Idee, in England anlegen zu müssen. Der gute Mann war als Generalleutnant der Pariser Polizei um einiges überzeugender.« Die Männer diskutierten über die Wirtschaft des Landes und langweilten die Damen. »Sie ist verschwenderisch, das ist eindeutig, besitzt mehrere Schlösser und ein Haus in Paris«, fügte nach einer kurzen Bedenkzeit Madame d’Évilly hinzu. »Ihre Empfänge sollen prunkvoll sein, und die Hälfte des Essens wird weggeworfen.« Gaspard las in der Intonation ihrer Stimme ein Bedauern, gefärbt mit Neid. »Der Comte de V. wird mir verzeihen, wenn ich hier bekannt gebe, dass auch er gelegentlich bei ihr zu Gast ist«, beeilte sich Madame d’Annovres zu sagen. Wieder vereinigten sich sämtliche Blicke, halb anklagend, halb begierig. Gaspard war sprachlos, er entdeckte gerade, wie viele Geheimnisse, aber auch Möglichkeiten Etienne noch barg. Er hätte nie geglaubt, dass er am Hof empfangen wurde, und sah in den Blicken der anderen sofort eine tiefe Achtung. Obwohl die Gäste ihn seit Beginn des Essens in Andeutungen herabwürdigten, so träumten doch alle davon, an den Hof eingeladen zu werden. Etienne lächelte, bevor er antwortete: »Sie ist verschwenderisch, sicher, aber bestimmt weniger als der König selbst. Es ist doch einfach so, dass man der Favoritin des Königs nicht nachsieht, dass sie kein blaues Blut hat, dass sie nur eine Dirne ohne jeden Titel ist.« Die Damen schüttelten entgeistert die Köpfe, doch die Trunkenheit erlaubte es, dass man die Worte tolerierte. Gaspard war überzeugt, dass sie als Ungeschicklichkeit aufgenommen wurden, in Etiennes Mund jedoch vollkommen berechnet waren. Das Gespräch belebte sich zur Freude der

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