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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Grummeln. Der Domestik bat sie hinein. Die Comtesse eilte mit ausgestreckten Armen auf sie zu. Etienne küsste ihre Hand, was sie in angeregte Stimmung versetzte. Gaspard verbeugte sich, während er den Blick durch den Salon schweifen ließ. Die Gäste, mit einem Glas auf dem Sofa oder in kleinen Gruppen in Gespräche vertieft, drehten die Köpfe nach ihnen. Ein großer Teil der Wand war mit Spiegeln verkleidet, die das Volumen des Raumes verdoppelten. Sie warfen Gaspard ein Bild von sich zu, in dem er nur mit Mühe den Perückenmacherlehrling wiedererkannte. Er straffte die Schultern und fand, dass er sich durchaus sehen lassen konnte. Niemand, nicht einmal ein Stammkunde des Ateliers, hätte die Verbindung zu Billods Angestelltem herstellen können. In einem Marmorkamin brannte ein Feuer, dessen Glut träge knisterte. Der Geruch des Ofens mischte sich dem süßlichen Duft der Kerzen bei, die von hohen Lüstern herab den Raum erhellten. In einer Ecke des Salons saß Adeline d’Annovres vor einem Cembalo. Als sich ihr gelangweiltes Gesicht zu ihnen wandte, verstand Gaspard, dass ihre Ankunft sie ihrer Pflicht enthob. Sie stand auf und führte Gaspard zu einem Diener, der ihnen zu trinken anbot. Etienne begrüßte bereits die Gäste, Gaspard richtete an jeden ein höfliches Kopfnicken. Adeline stellte die Besucher vor, ohne den Blick nach ihnen zu drehen, was vermuten ließ, dass sie ihre Anwesenheit gewohnt war. »Die Dame im malvenfarbenen Kleid ist die Marquise d’Évilly, ihr Ehemann ist der dickbäuchige Herr vor dem Kamin; beide sind auf Durchreise in Paris und logieren bei uns. Auf dem ersten Sofa sehen Sie Monsieur Merlot, einen alten, aber sehr reichen Junggesellen, er arbeitet im Import von Kunstgegenständen, früher hat er lange in der Marine gedient; des Weiteren die Herrschaften Lecat und Saurel, deren Damen sich vor dem Fenster unterhalten. Die beiden beobachten Sie schon aufmerksam, seit Sie da sind. Ihre Ehemänner sind Diplomaten. Monsieur Lindon sitzt etwas weiter weg, er leitet eine langweilige Pariser Zeitung, die aber viele Leser hat. Seine Frau ist vergangenen Monat an einer Lungenentzündung gestorben, wir laden ihn ein, um ihm ein wenig darüber hinwegzuhelfen, aber er ist noch immer etwas schweigsam. Vergessen Sie nicht, jedem die Hand zu drücken, wenn unser Gespräch beendet ist.« Gaspard nickte und führte sein Glas an die Lippen. Seine Gesten waren unbeholfen, und obwohl er tat, was er konnte, um unbefangen zu wirken, bemerkte er, dass Adeline lächelte, ein ähnliches Lächeln wie jenes, das sie in der Oper angedeutet hatte, als Gaspard mit lauter Stimme sein Geständnis gemacht hatte. »Sie sind also durch Ihren Vater mit dem Comte de V. verbunden? Bleiben Sie länger in Paris? Gefällt es Ihnen in der Hauptstadt?« Sie zeigte sich nun viel gesprächiger, und Gaspard wäre vor all diesen Fragen am liebsten davongelaufen. Dass sie ihn an diesem vertrauten Ort empfing, gab ihr Auftrieb und verstärkte ihre Sicherheit. »Ja«, antwortete er einsilbig. Sie lächelte wieder, und ihr im Grunde gewöhnliches Gesicht wurde hübsch. Er betrachtete sie, dachte, dass sie viel zu bleich, aber bestimmt nett war. Adeline schien zu zögern, ehe sie sich dann dem Drang des Geständnisses beugte: »Sie müssen wissen, Monsieur, dass ich ein Geheimnis für mich behalten kann; ich versichere Sie meiner Verschwiegenheit.« Eine schreckliche Panik überfiel Gaspard, und er antwortete, ohne ein Beben in seiner Stimme verbergen zu können: »Ich fürchte, ich verstehe nicht, Mademoiselle, worauf Sie anspielen.« Adeline drehte das Gesicht zum Salon, lächelte höflich Monsieur Lindon zu und ließ nichts durchscheinen: »Sie werden schnell lernen, dass die Aufrichtigkeit nicht der größte Trumpf ist in den Salons. Ich bin darin groß geworden und kenne sämtliche Schliche. Seien Sie beruhigt«, fügte sie angesichts der betretenen Miene des jungen Mannes hinzu, »hier gibt es keinen Einzigen, der sich nicht ihrer bedient.« Eine Dienerin flüsterte der Hausherrin etwas ins Ohr, die erfreut die Stimme hob: »Da unsere letzten Gäste eingetroffen sind, lade ich Sie ein, in den Speisesaal hinüberzugehen, wo binnen kurzem das Mahl serviert werden wird.«
    Die Türen öffneten sich zu dem Raum, den Gaspard bereits gesehen hatte. Etienne stieß zu ihm. Man setzte sich, der Wein wurde aufgetragen. Der Stuck an den Decken ließ an die Falten und Fältelchen eines fahlen Fleischstücks denken. Auch hier brannte

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