Die Erziehung - Roman
schäbigen Stoff der Decke herausschaute. Gaspard versuchte in dem Blick, den sie wechselten, eine Spur Mitgefühl zu entdecken, doch die Kinder waren bereits wieder mit ihrem Spiel beschäftigt, und er fühlte sich vage verraten durch ihre Gleichgültigkeit. Der Schnee knirschte unter seinen Ledersohlen. Er bekam eine Gänsehaut, Ohren und Nasenspitze wurden gefühllos. Der Wind mühte sich, den Geruch einer Suppe zu vertreiben, die irgendwo köchelte. Gaspard suchte nach der Quelle dieses Dufts, und als er an einem schief hängenden Wirtshausschild vorbeikam, überfiel ihn wieder der Hunger. Er beschloss, seine letzten Ersparnisse in eine Mahlzeit zu investieren. Es galt, die Nacht auf der Straße zu überstehen, die ihn erwartete. Die Einrichtung, in der es bereits von Hungerleidern der Kapitale wimmelte, roch nach Rüben und Rindereintopf. Aus der Küche strömte ein stinkender Saft auf die Straße, direkt vor Gaspards Füße. Eine Frau schwitzte vor ihren Kochtöpfen, unter ihren Armen zwei dicht behaarte Achseln. Als sie sah, wie Gaspard sie anstarrte, knurrte sie ihm etwas zu und forderte ihn auf einzutreten. Ihre Stimme klang, als würde sie bei jedem Wort eine Schaufel Kieselsteine verschlucken. Sie trocknete sich mit der Schürze die Stirn, während Gaspard den Blick nicht von ihrem Mund wenden konnte, über dem ein mit Sauce verklebter Schnurrbart hing. Er betrat das Lokal, in dem etwa zwanzig Männer an breiten, mit Kerben übersäten Holztischen saßen. Gaspard gab sein Geld einem Jungen, den er als Sohn der Köchin ansah, da er denselben schmachtenden Ausdruck hatte und über seiner Oberlippe bereits ein dunkler Flaum keimte. Das Kind führte ihn an einen der Tische und wies ihm einen Platz am Ende zu. Die anderen Männer warteten schweigend, dass das Essen vor sie gestellt wurde. Der Junge brachte noch einen weiteren angeschlagenen Napf und einen Blechlöffel. Die Bäuche knurrten ungeduldig. Gaspard betrachtete die Gesichter, die einander an Hässlichkeit und Schmutzigkeit übertrafen. Auch am Ende eines Arbeitstages gab es nicht viel zu sagen. Manche kauten träge ihren Tabak und spuckten den schwarzen Saft auf den Boden. Ein riesenhafter Mann brüllte, man solle endlich das Essen bringen. Ein paar Männer pflichteten ihm bei, entblößten ihre Zahnstummel. Die anderen blickten starr auf ihre Teller. Als der Junge mit einer großen Schüssel Eintopf auftauchte, knurrten die Gäste ungeduldig. Sobald sie in der Mitte des Tisches stand, kam Leben in die bis dahin zusammengesunkenen Männer. Mit ausgestreckten Armen, dick wie Baumstämme, kämpften sie um die Kelle, um ihren Teller zu füllen. Gaspard schaute zu, wie sie nach den Fleischstücken angelten, die in der überreichlichen Sauce schwammen. Sein Magen forderte ihn auf, sich ebenfalls ins Gefecht zu stürzen, um wenigstens ein Stück zu ergattern. Bald waren alle damit beschäftigt, das sehnige Fleisch zu zerreißen, und für Gaspard fielen ein wenig Saft, ein paar Rübenstücke, etwas Kohl und eine Scheibe hartes Schwarzbrot ab. Er sah zu, wie die Männer gierig ihr Fleisch hinunterschlangen, mit ihren Zungen die Teile in ihre gierigen Schlünde stießen, während ihre Blicke von einem animalischen Glanz belebt waren. Während er diesem Kampf der Mundwerkzeuge, dem Schnalzen der Zungen, dem Schmatzen des Speichels, dem Schlucken und dem Zittern der Glottis völlig verdutzt zusah, zog sein Nachbar schließlich seinen Teller an sich und verschlang den Inhalt unter dem Blick der anderen. »Monsieur«, sagte Gaspard auf einmal fiebrig und kurz davor, auf der Bank zusammenzubrechen, »das ist mein Teller, den sie da aufessen.« Der andere tat, als hätte er nichts gehört, leerte den Napf bis auf den letzten Tropfen, lehnte sich zurück und schlug sich mit beiden Händen auf die dicken Schenkel. Gaspard schwieg, angewidert von dem Schweiß, der, ermutigt von einem Feuer in der Ecke des Raumes, auf dem Hals der Männer glänzte. Als der Tisch mit Essensresten übersät war, ging das Rülpsen und Furzen los, und man schnallte den Gürtel ein Loch loser, enthüllte die prallen Bäuche. Sie begannen zu reden, Gaspard versuchte sich auf ihre Worte zu konzentrieren, aber sie waren nichts als eine Aneinanderreihung von Anekdoten, die jeder sich selbst erzählte, oder noch öfter von Schlüpfrigkeiten, die im Gegensatz dazu die heitere Zustimmung der Zuhörer fanden. Er hatte das Gefühl, dass diese Männer nichts als Bündel aus Eingeweiden waren, die sich
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