»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
keine Schilder vor gefährlichen Kreuzungen warnen, stattdessen wären ungefährliche Kreuzungen mit einem Schild gekennzeichnet, »Diese Kreuzung ist übersichtlich, Tempo muss nicht reduziert werden«. Außerdem führt Nestlé zur Verteidigung der eigenen Linie die Meinung des Verbands Deutscher Mineralbrunnen an (der ist zufällig auch Mitglied der »Plattform Ernährung und Bewegung«), der die Ergebnisse der EFSA -Studie eher entwarnend interpretiert. Im Übrigen, so Nestlé, halte man sich an geltende Gesetze, Gesundheitsvorsorge sei schließlich Aufgabe der staatlichen Behörden.
Es ist erschreckend, wie selbst der führende Lebensmittelkonzern der Welt und bedeutende Hersteller von Säuglings- und Kindernahrung seinen kleinsten und schwächsten Kunden vorsorgenden Gesundheitsschutz verweigert, wie er sich wegduckt und hinter staatlichen Gesetzen verschanzt, sobald praktische Verantwortung gefragt wäre. Die Erklärung ist einfach: Ein Warnhinweis auf den Flaschen würde die Kunden erschrecken und den Verkauf der Marken, an denen Nestlé prächtig verdient, vermutlich schmälern. Wachsen ist wichtiger. Bezeichnend ist auch Nestlés Verweis auf die gesetzlichen Grenzwerte: Solange die sind, wie sie sind, muss der Weltkonzern nichts tun und kann weiter öffentlichkeitswirksam, aber kosten- und folgenlos, den »Verantwortlichen« spielen. Dieses Muster kann man in der Lebensmittelindustrie – aber nicht nur dort – immer wieder finden: Hinter der schönen Rede von der Verantwortung verstecken Nestlé & Co. die hässliche Realität, dass die Branche zu den am wenigsten nachhaltigen Industriezweigen gehört. Die Landwirtschaft als Rohstofflieferant der Nahrungsmittelbranche trägt durch die Emission von Treibhausgasen annähernd so stark zur Erderwärmung bei wie der Straßenverkehr. Vor allem erweist sich die Produktion von Rindfleisch und Milch als stark klimaschädlich, zudem schädigt die Landwirtschaft Böden und Wasser durch Pestizide und Überdüngung. Seit vielen Jahren prangern NGO s Missstände im Verantwortungsbereich der Lebensmittelkonzerne an, und dennoch bleiben sie überzeugende Antworten schuldig. Trotz zahlreicher Zusagen schreitet auch die Zerstörung der Regenwälder durch die Einkaufspolitik der Nahrungsmittelkonzerne ungehindert voran. Angetrieben wird die Abholzung durch die hohe Nachfrage nach billigem Palmöl, das mittlerweile fast überall eingesetzt wird, in Kosmetika, Reinigungsmitteln, Agrosprit, aber auch in Lebensmitteln wie dem Schokoriegel »KitKat« von Nestlé. Der Schweizer Konzern hat seinen Verbrauch von Palmöl in den letzten Jahren auf 320 000 Tonnen verdoppelt. Dabei können Schokoriegel auch ohne Palmöl hergestellt werden. Schokoriegel ohne Palmöl – das wäre wirkliche Verantwortung und ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Handelskonzerns Metro, Klaus Wiegandt, der heute die Stiftung »Forum für Verantwortung« leitet und sich mit renommierten Wissenschaftlern über ein »Wirtschaftssystem jenseits von Wachstumszwängen« austauscht, gab 2009 ein aufschlussreiches Interview. Darin bekannte der frühere Spitzenmanager freimütig, er hätte damals »im Maximum 30 Prozent dessen tun können was notwendig wäre in Sachen Nachhaltigkeit«; der Rest sei unmöglich umzusetzen, weil sich Manager dem Shareholder-Value-Denken der Anteilseigner verpflichtet fühlten. »An freiwillige Selbstverpflichtungen hält sich sowieso niemand, wenn’s hart auf hart kommt«, wusste Wiegandt und erzählte, dass er Nachhaltigkeitsseminare für Führungskräfte anbieten wolle; allerdings sei es nicht leicht, mit diesem Thema Zugang zu ihnen zu bekommen. »Ich habe natürlich schon mit einer Reihe von Vorstandsleuten der obersten Ebene gesprochen. Unter vier Augen sagen die zu mir: ›Wiegandt, Sie haben völlig recht. Wenn ich an meine Kinder denke, machen Sie weiter!‹ Aber wenn ich sie dann etwa zu einer Podiumsdiskussion einlade, dann kommt die Antwort: ›Bitte, bitte nicht.‹«
6 Die Bio-Illusion als Wachstumsnische
Auf der weltgrößten Messe für ökologische Lebensmittel, der BioFach in Nürnberg, stehen Anfang 2010 zwei junge Männer in Jeans, T-Shirt, Turnschuhen und Dreitagebart an ihrem Messestand. Schon wegen ihres legeren Outfits heben sich die beiden vom Messe-Standard ab, der – Bio hin, Öko her – vor allem durch Schlips-Träger und Business-Kostüme geprägt ist. Und auch sonst geben Paul Bethke und Jakob Berndt
Weitere Kostenlose Bücher