»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
Taten« – das ist so durchsichtig und so wenig substantiell wie viele irreführende Behauptungen über angebliche Nutzen und Eigenschaften der Lebensmittel selbst.
Dass die Ernährungsbranche für ihre Produkte wirbt, gehört zur Marktwirtschaft. Aber verheerend ist, wie sie diese Werbung mit Begriffen wie Verantwortung und Nachhaltigkeit als gesellschaftliches Engagement verkleidet. So gelingt es den Firmen, ihr Eigeninteresse als Interesse der ganzen Gesellschaft erscheinen zu lassen. Wie die Grenzen sich auflösen, zeigt die oben erwähnte »Plattform Ernährung und Bewegung e.V.«: Der von der Lebensmittelindustrie selbst mitgegründete Verein erzeugt nicht nur positive Medienresonanz für die angeblich so ums Gemeinwohl bemühten Firmen; die Plattform ist auch ein Vehikel dafür, dass die Industrie mitberät und beschließt, wenn es um Präventionsprojekte in Kindertageseinrichtungen oder Ernährungsratschläge für Jugendliche geht.
Und Politiker lassen sich von den Lobbyisten das Heft aus der Hand nehmen und vom Verantwortungsgefasel beeindrucken. Beim Parlamentarischen Abend von peb Anfang 2010 lobte der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, der FDP -Abgeordnete Hans-Michael Goldmann, die Initiative sorge mit »tollen Projekten und Ideen dafür, dass schon unsere Jüngsten für gesunde Ernährung und den Spaß an der Bewegung sensibilisiert werden«; der Verein sei ein »zivilgesellschaftliches Bündnis« und »Zukunftsmodell unserer Gesellschaft«. Wenn der FDP -Mann das ernst meint, ist er den Manövern der Lebensmittelbranche aufgesessen. Das ist peinlich für ihn und alarmierend für die Gesellschaft, weil es den unheilvollen politischen Einfluss der Ernährungsindustrie in Deutschland illustriert: Die Politik dankt ab und applaudiert auch noch artig zu ihrer eigenen Entmachtung durch Interessenverbände und Unternehmen. Wenn der Einfluss der Lebensmittelwirtschaft zum Beispiel bei gesundheitspolitischen Fragen wie Übergewicht und Fettleibigkeit so bleibt wie er ist, ist die Verfettung der Gesellschaft wohl unvermeidlich. Und wenn Politiker das Mitregieren von Wirtschaftsverbänden als »Zukunftsmodell unserer Gesellschaft« preisen, sind auch andere globale und nationale Probleme nie und nimmer in den Griff zu bekommen.
Die mit falschem Verantwortungspathos lancierten »freiwilligen« Initiativen der (Lebensmittel-)Wirtschaft sind nichts als Augenwischerei. So wenig Krombacher den Regenwald retten kann, so wenig können – und wollen – McDonald’s und der Zuckerverband dazu beitragen, einer übergewichtigen Gesellschaft das Maßhalten beim Essen beizubringen. Die Verantwortung der Unternehmen gerät aus dem Blickfeld: Denn jetzt ist der Konsument selbst schuld am Regenwaldschwund, an der Überfischung der Meere, an den verdurstenden Kindern in Afrika, wenn er zum falschen Bier, zum falschen Fischstäbchen, zum falschen Trinkjoghurt greift. So degradiert die Lebensmittelwirtschaft ihre Kunden, die man sonst gerne als »mündig« beschreibt, zu Witzfiguren, die biertrinkend, im Unterhemd auf dem Sofa sitzend den Umweltschützer mimen. Der Werbeslogan der Kultbrause »Bionade«, sie sei »das offizielle Getränk einer besseren Welt«, war noch nie etwas anderes als ein dummer Spruch. Die Welt wird durch ein Getränk – ob Bier oder Bionade – nicht besser.
Besser wird die Welt auch nicht, wenn Konzerne sich sogenannten »freiwilligen Selbstverpflichtungen« unterwerfen, die diesen Etikettenschwindel als verantwortungsvolles Unternehmertum verkaufen. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft haben noch nie funktioniert. Der Grund dafür liegt in der Marktmechanik selbst: Kein Unternehmen nimmt freiwillig dauerhaft Nachteile auf sich, wenn der Konkurrent es nicht tut. Kein Lebensmittelhersteller, der vom Verkauf überdurchschnittlich fetthaltiger, salzhaltiger und zuckerreicher Lebensmittel lebt, wird den Salz-, Fett- und Zuckergehalt je freiwillig so auf seine Verpackung drucken, dass es für den Konsumenten gut lesbar und unmissverständlich ist. Er wird stattdessen versuchen zu verstecken, zu verharmlosen, zu relativieren: Er wird die Buchstaben so klein wählen, dass sie kaum noch zu entziffern sind; er wird die Werte in hellblauer Schrift auf dunkelblauem Grund drucken oder seine Angaben auf unrealistische Portionsgrößen beziehen. Er wird es nur dann besser machen, wenn es alle machen müssen. Und alle oder jedenfalls fast
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