»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
alle, machen es nur, wenn die Politik durch Gesetze und Verordnungen Marktintervention betreibt.
Freiwillige Leistungen von Unternehmen oder Branchen sind kein Ersatz für politisches Handeln, sie lösen nichts, sie sind Show, ein Freibrief dafür, dass sich nichts wirklich ändert. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sind nur ein Gradmesser dafür, wie gestaltungsschwach die Politik geworden ist. Wenn Iglo oder Danone oder Haribo morgen Konkurs anmelden oder ihre Lust auf Verantwortung verlieren, muss es immer noch jemanden geben, der für nachhaltige Fischerei auf den Weltmeeren kämpft, Brunnen in Afrika baut und »Ein Herz für Kinder« zeigt. Auch die Nährwertkennzeichnung auf Lebensmitteln war ursprünglich als freiwillige Leistung der Hersteller für die Verbraucher konzipiert. Doch die Verbände nutzten den von der Politik gelassenen Freiraum dazu, das Vorhaben jahrelang zu verschleppen; erst als diese Taktik immer offensichtlicher wurde, schwenkte die Politik auf eine verbindliche Nährwertkennzeichnung um.
Wie zwiespältig Unternehmertum ist, das sich »verantwortungsvoll« gibt, zeigt das Beispiel des Super-Wohltäters Bill Gates. Zuerst wurde der Microsoft-Gründer durch knallhartes, viele sagen marktschädigendes Verhalten zum zweitreichsten Mann der Welt; jetzt lenkt er seine Milliarden – natürlich nur in allerbester Absicht – in die weltweite Bekämpfung von Armut und Seuchen, er lässt Impfstoffe gegen Kinderkrankheiten entwickeln, unterstützt Gesundheitsprogramme; sein neuestes »gemeinnütziges« Projekt: Er investiert in Mini-Atomkraftwerke als Beitrag zur Energiewende.
Es geht um die Privatisierung der Weltrettung ohne vorangegangene gesellschaftliche Debatten, ohne Parlamentsbeschlüsse. Was, wenn Bill Gates plötzlich evangelikal wird oder Scientologe? »Die öffentliche Zurschaustellung unternehmerischer Großherzigkeit verdeckt nur allzu leicht die Probleme, mit denen sich eine Demokratie beschäftigen sollte«, urteilt Robert Reich, Mitte der neunziger Jahre Arbeitsminister unter Präsident Bill Clinton, heute Professor für Public Policy an der University of California in Berkeley. »Freiwillige« Unternehmensinitiativen reichten nur so weit, wie sie den Unternehmen selbst nutzten, und lenkten die Öffentlichkeit von der notwendigen Durchsetzung harter Gesetze und Vorschriften ab, findet der Jurist und bilanziert: »Mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen verhält es sich in etwa so wie mit Zuckerwatte: Je kräftiger man reinbeißt, desto schneller löst sie sich in nichts auf.«
Vielleicht hat Robert Reich bei diesem Satz an die Firma Nestlé gedacht, den weltweit größten Nahrungsmittelproduzenten. Branchentypisch umgeben sich auch die Schweizer mit jeder Menge Berichten, die ihren guten Willen und ihr Verantwortungsbewusstsein für das Große und das Ganze belegen sollen. Doch wenn es konkret wird, kann die Zusage schmelzen wie Zuckerwatte im Mund, wie das Beispiel der Nestlé-Mineralwassermarken San Pellegrino und Perrier zeigt. Beide Wässer sind – wie übrigens Dutzende andere auch – erheblich mit dem giftigen Schwermetall Uran belastet, die Nestlé-Nobelmarke Perrier bringt es auf 4,8 Mikrogramm pro Liter, Nestlés San Pellegrino auf bis zu acht Mikrogramm. Das ist mehr als für Babys und Kleinkinder gut ist und stellt ein Gesundheitsrisiko für sie dar, wie sich aus einer Expertise der Europäischen Behörde für Lebensmittelrecht ( EFSA ) in Parma ergibt.
Millionen Eltern füttern ihre Kinder mit »Alete«, »Beba« oder »NaturNes«, weil sie der Firma mit dem Slogan »Good food, good life« Vertrauen schenken und vielleicht auch den Nestlé-Spruch kennen: »Jedes Kind verdient den bestmöglichen Start ins Leben.« Deshalb wäre es nur naheliegend, auf den hoch belasteten Wässern die Eltern durch Flaschenetiketten zu warnen: »Nicht für die Zubereitung von Säuglingsnahrung und für Kleinkinder geeignet.« Immerhin bewirbt der Weltmarktführer andere Wassermarken seines Sortiments als »für Babys geeignet« – eben weil sie eine niedrige Uranbelastung aufweisen. Einen Warnhinweis für höher belastete Wässer lehnt Nestlé jedoch strikt ab: San Pellegrino und Perrier seien »offenkundig vollkommen ungefährlich«, es sei auch »sehr unwahrscheinlich«, dass die Wässer zur Zubereitung von Speisen für Babys oder Kleinkinder verwendet oder diesen zum Trinken gegeben würden. Das ist ungefähr so, als würden im Straßenverkehr
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