»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
münsterländische Bio-Molkerei Söbbeke sucht Aufmerksamkeit durch ihren »speziell auf die Fußball WM in Südafrika abgestimmten Bio-Käse«: Dafür hat Söbbeke mit seinem afrikanischen Partner Voodoofood einen Bio-Schnittkäse mit der afrikanischen Gewürzmischung »Harissa Tuareg« angereichert – und fertig ist der »African Cheese Kick 2010«; und weil das noch nicht ausreicht, ergänzt die Bio-Molkerei den Bio- WM -Käse durch einen ebenfalls »speziell auf die Fußball WM abgestimmten Joghurt«, den »African Choco Kick 2010«, einen Bio-Joghurt mit »Schokoballs«. Und wer jetzt immer noch nicht genug Bio hat, surft ein wenig im Internet und findet auch noch Bio-Wodka und Katzen- und Hundefutter in Bio-Qualität. Dank dieser enormen Ausweitung der Produktpalette boomte Bio in Deutschland etwa zehn Jahre lang. Waren Lebensmittel aus ökologischer Produktion früher das Revier der kleinen Bio- und Naturkostläden, der Reformhäuser und Hofläden, brachen mit dem Einstieg der Supermarktketten und vor allem der Discounter wie Aldi, Plus oder Lidl die letzten Dämme. Zum Beispiel explodierten die Umsätze bei Bio-Süßgebäck allein innerhalb des Jahres 2007 um 99 Prozent, bei Bio-Joghurts um 82 Prozent, aber auch in anderen Sortimentskategorien verkauften die Händler allein im Jahr 2007
30 bis 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei manchen Produkten haben Bio-Waren inzwischen beträchtliche Anteile am Gesamtmarkt erreicht wie etwa bei Baby-Glaskost (mehr als 60 Prozent), Gemüsesäften (annähernd 30 Prozent) oder bei Müsli (15 bis 20 Prozent). Zeitweise wuchs der gesamte Markt für Bio-Food in Deutschland zweistellig und liegt heute bei einem Jahresumsatz von 5,8 Milliarden Euro, weltweit wird das ähnliche Volumen für Bio-Lebensmittel auf etwa 50 Milliarden Dollar veranschlagt. Zwar ging der Bio-Umsatz 2009 erstmals leicht zurück, doch wegen eines insgesamt schrumpfenden Lebensmittelmarkts konnte Bio seinen Marktanteil leicht erhöhen und erreicht jetzt zwischen 1 bis 5 Prozent. Es gibt heute nicht weniger als rund 56 000 Lebensmittel mit Bio-Siegel, dazu gehören auch Bio-Kartoffelpüree, Bio-Cappuccinopulver und probiotisch aufgemotzter Bio-Joghurt, dazu Bio-Fischstäbchen, Bio-Gummibärchen und Bio-Wasser. Die Andechser Bio-Molkerei Scheitz zum Beispiel bot zeitweise 40 verschiedene Fruchtjoghurts an, acht verschiedene Trinkjoghurts und vier Geschmacksrichtungen des aus Indien stammenden Trend-Getränks Lassi, während die Branchenriesen Campina, die z.B. die Marke »Landliebe« vertreibt, und Konkurrent Weihenstephan nur mit jeweils 30 Sorten um die Gunst der Verbraucher buhlten. Der Bio-Pionier Rapunzel hat fast 30 verschiedene süße Snacks im Sortiment vom »Choco-Sesamini« über den »Himbeer-Joghurt-Stick« bis zum »Tiger Picnic«, und obendrauf noch 27 Sorten Schokolade – selbst Milka und Ritter Sport bieten kaum mehr. Immer neue Bio-Varianten konventioneller Lebensmittel kommen auf den Markt, einfach nur, weil es marktopportun erscheint und sich unter industrietechnischen Gesichtspunkten anbietet nach dem Motto: »Montags lassen wir die Bio-Pizza über die Bänder laufen, den Rest der Woche die normalen Pizzen.« Oder Schokoriegel. Oder Tütensuppen. Diese Praxis verschafft vor allem den großen Markenartiklern den doppelten Vorteil, Produkte mit höheren Gewinnmargen zu verkaufen und gleichzeitig noch mehr Regalplatz beim Handel zu belegen – zum Schaden kleiner, qualitätsbewusster Bio-Unternehmen.
Bezeichnend für die Bio-Illusion ist beispielsweise, wie wenig auch bei verarbeiteten Bio-Produkten über die Herkunft der Rohstoffe gesprochen wird. Ihre Hersteller stehen keineswegs an der Spitze einer Debatte über eine transparente Herkunfts-Kennzeichnung. Genau das aber erwarten viele Konsumenten von Bio-Lebensmitteln, damit sie entscheiden können, ob sie wirklich Produkte mit Bio-Litschis aus Südafrika oder Bio-Fenchel aus China kaufen wollen. Doch Lobbyisten der ökologischen Anbauverbände wehren sich gegen solche Angaben, die gerade für Käufer von Bio-Ware aufschlussreich wären. Durch eine Herkunftsbezeichnung würde nämlich offenbar, dass Bio-Lebensmittel wie eben jene Bio-Litschis aus Südafrika überhaupt nicht klimafreundlich sind und herkömmliche Lebensmittel nicht automatisch »Klimasünder«. Auch im Streit um die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln mittels einfacher Ampelfarben und ergänzender Zahlen halten sich viele Hersteller von Bio-Waren
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