»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
unter den gut 2500 Messeausstellern ein bemerkenswertes Beispiel ab. Sie sind zum ersten Mal auf der BioFach und haben ihren Stand erst kurz vor Messe-Eröffnung am frühen Morgen noch schnell aufgebaut: Er besteht aus einer Wand aus weißen Getränkekästen, vor denen nur ein einziger, kleiner weißer Kubus steht, darauf zwei Flaschen in minimalistischem Design. Lemonaid steht auf der grünen Flasche, ChariTea auf der roten.
Paul Bethke hat in Sri Lanka Abitur gemacht und nach seinem Volkswirtschaftsstudium als Entwicklungshelfer für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ( GTZ ) in Sri Lanka gearbeitet. Jakob Berndt ist studierter Kulturwissenschaftler und betreute früher bei der renommierten Werbeagentur Jung von Matt Kunden wie Mercedes-Benz. Das Produkt der beiden Hamburger wirkt cool, stylisch, trendy, es ist gemacht für die Vertreter einer großstädtischen Bar- und Cafészene, die ausreichend Kleingeld hat, um für ein Erfrischungsgetränk 3,50 Euro zu zahlen oder immerhin noch etwa zwei Euro, wenn sie es im Feinkost- oder Bioladen kauft. Doch so glatt und schick die Flaschen aussehen, so kompromisslos ist auch ihr Inhalt.
Die Limetten-Limonade Lemonaid enthält keine Aromen, keine Konzentrate und keine Geschmacksverstärker, sie ist aus Direkt-Saft gemacht, aus Wasser, Rohrzucker und Minze; und weil alle Rohstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau stammen, darf sich das Getränk Bio-Limonade nennen. Außerdem kommen die Zutaten – bis auf den geringen Anteil an Minze – von Bauern-Kooperativen in Brasilien und Paraguay, die von ihren Großhändlern höhere Preise erlösen als jene auf dem Weltmarkt und deshalb für faire Löhne, Sozialleistungen und für bessere Arbeitsbedingungen sorgen können. »Wir wollen nicht bloß Limonade verkaufen, sondern auch ein Vorbild für andere sein, die keine Lust auf Großkonzerne haben und etwas Neues gestalten wollen«, sagt der ehemalige Entwicklungshelfer Paul Bethke. Sollte das im Sommer 2009 gestartete Unternehmen eines Tages Gewinn machen, versichert Bethke, würde die Hälfte davon in eine Stiftung fließen für eigene soziale Projekte in entwicklungshilfebedürftigen Ländern.
Niemand weiß, wie lange sich das Hamburger Start-up-Unternehmen behaupten wird. Sollte es längere Zeit überleben und wachsen, wird es interessant sein, in zehn Jahren nachzuschauen, welchen Weg die zwei Jungunternehmer gegangen sind. Wird dann die Geschichte zu erzählen sein, wie zwei junge Männer einmal ihre gut bezahlten Jobs kündigten, um in ihrer privaten Küche mit Tees und Fruchtsäften zu experimentieren und so ihre Rezepturen entwickelten, und wie sie seitdem kompromisslos an ihrer Idee eines fair gehandelten Getränks in strenger Bio-Qualität festhielten? Oder wird die Geschichte zu erzählen sein, wie zwei idealistisch motivierte Geschäftsleute anfingen, mit wachsendem Erfolg dieses und jenes Zugeständnis zu machen, wie sie hier ein bisschen tricksten und dort ein Stück von der Bio-Qualität abrückten, um billiger produzieren zu können. Wie sie ihrer Bio-Limetten-Limonade und ihrem Biotee um des gefälligen Geschmacks und der Optik willen mehr Zucker beimischten und später auch noch Aromen und Farbstoffe. Und wie sie sich zuletzt mit einem ganz Großen des Getränkebusiness einließen, der bald darauf die Verträge mit den Fair-Trade-Kooperativen in Übersee kündigte und stattdessen seine eigenen billigeren Lieferanten installierte.
Diese zweite Version ist leider gar nicht so unwahrscheinlich. Denn mit dem eigentlich erfreulichen Bedeutungs- und Umsatzzuwachs des Marktes für Bio-Lebensmittel wächst leider auch die Tendenz, den ursprünglichen Qualitätsanspruch von Bio zu verwässern und zu verraten. Das ist umso bedauerlicher, weil die Bio-Landwirtschaft, die klimafreundlicher als die konventionelle Landwirtschaft ist, die Gewässer nicht mit Pflanzenschutzmitteln verschmutzt und die Tiere artgerecht hält, eigentlich das Agro-Modell der Zukunft ist. Doch so wie sich die Dinge darstellen, ist die gute Idee von den ökologisch produzierten Lebensmitteln inzwischen vielfach zu einer reinen Marketing-Strategie verkommen. Zusammen hängt diese Entwicklung mit der massiven Zunahme verarbeiteter, industriell gefertigter Lebensmittel, die sich mit dem Bio-Siegel schmücken dürfen, weil die darin enthaltenen Rohstoffe nach Bio-Methode hergestellt wurden. Auch Bio schützt deshalb nicht vor Täuschung – das erfahren heute
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