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Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)

Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)

Titel: Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kreutzberger , Valentin Thurn
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sind die Normen geblieben. Roger Waite von der EU erklärt, was das bedeutet: »Äpfel dürfen zum Beispiel nicht verkauft werden, wenn sie weniger als sechs Zentimeter Durchmesser haben.«
    Es gibt noch eine lange Liste weiterer Kriterien, 20 eng bedruckte Seiten umfasst allein die EU – Vermarktungsnorm für Äpfel. So muss die Haut je nach Apfelsorte eine bestimmte Färbung haben, für die Sorte Braeburn ist beispielsweise eine Rotfärbung von mindestens 33 Prozent der Oberfläche vorgeschrieben, damit die Früchte in Klasse 1 gruppiert werden dürfen – und nur die nimmt der Handel.
    Schorfflecken dürfen nicht größer als 0,25 Quadratzentimeter sein (also einen halben Zentimeter lang und hoch!). Leichte Druckstellen werden immerhin bis zu einer Gesamtfläche von einem Quadratzentimeter akzeptiert, wenn sie nicht verfärbt sind. Und was passiert mit all den Äpfeln, die den hohen Ansprüchen von EU und Handel nicht entsprechen? »Das heißt nicht unbedingt, dass sie vernichtet werden müssen«, beschwichtigt Roger Waite. »Es gibt auch andere Möglichkeiten, man kann daraus zum Beispiel Kompost machen oder Tierfutter. Aber: Sie dürfen nicht für den menschlichen Verzehr verkauft werden, weil sie nicht dem EU – Standard entsprechen.«
    Die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die inzwischen mehrfach ihr Bedauern ausgesprochen hat, dass so viele Lebensmittel im Müll landen, findet auch: »Es muss nicht jede Gurke, jede Kartoffel oder jeder Apfel genau gleich sein.« Doch das heißt nicht, dass sie sich in der Verantwortung sieht, hier einzugreifen: »Ich würde sagen, das soll der Handel nach wie vor alleine machen. Es muss nicht alles der Staat regeln.«
    In einer Zeit, in der die Politik die Wirtschaft immer weniger reguliert, will auch Ilse Aigner keine neuen Vorschriften. Es sei denn, die Wirtschaft will diese Vorschriften. Als die EU ihre Pläne bekannt gab, die Gurkennorm abzuschaffen, war die deutsche Ministerin dagegen. Sie schiebt die Verantwortung weiter: »Ich appelliere an die Verbraucher: Es darf auch gewisse Unterschiede geben. Aber der Verbraucher muss das auch nachfragen.«
    Doch wie soll der Verbraucher ungenormtes Obst und Gemüse nachfragen, wenn es im Supermarkt gar nicht mehr angeboten wird? Das Portfolio von Ministerin Aigner umfasst auch den Verbraucherschutz – doch der gerät derzeit ins Hintertreffen. Denn der Verbraucher wird regelrecht in die Irre geführt. Ihm wird suggeriert, dass Ware der Klasse 1 besser sei als die der Klasse 2.
    Doch das ist eine Täuschung. Der Geschmack oder die Erntequalität spielen keine Rolle bei den Normen. Klassifiziert wird nach rein ästhetischen Kriterien. Zum Beispiel weißer Spargel. Aromaforscher Detlef Ulrich vom Julius-Kühn-Institut in Quedlinburg pflanzte Spargel auf mineralreichen, schweren Böden: »Er ist aromatisch, von milder Süße und mäßiger Bitterkeit.« Der mineralreiche Boden versorgt die Sprosse offenbar besser und begünstigt ein vollmundigeres Aroma als nährstoffarmer, karger Sand, in dem der Spargel üblicherweise gezogen wird.
    Aber die Wurzel stößt beim Wachsen auf kleine Steinchen: »Deshalb wächst er krumm und ist damit nicht vermarktungsfähig«, so der Forscher zur Tageszeitung Die Welt. Auch wenn unförmiger Spargel besser schmeckt: Keiner kauft dem Landwirt das schiefe Gemüse ab.
    »Spargel aus Klasse 2 schmeckt auf keinen Fall per se schlechter.« Beim Aromatest schneidet dicker Spargel aus der teuren Extraklasse sogar tendenziell schlechter ab, hat keineswegs mehr Vitamine und Mineralstoffe. Die Normen haben das Gemüse also nicht gesünder gemacht. Im Gegenteil: Alte Spargelsorten waren teilweise bläulich gefärbt. Die Farbe verwandelte sich jedoch beim Kochen in unansehnliches Grau. Deshalb wurde das Blau im Lauf der Jahre so gut wie weggezüchtet. »Der Blauton stammt von Antioxidantien«, weiß Forscher Ulrich, »die unsere Blutgefäße schützen.«
    Ausgefallene Sorten passen nicht in das Schema der Bürokratie. Günter Schumann, der ebenfalls am Julius-Kühn-Institut forscht, klagt: »Kugelige oder lilafarbene Möhren können bisher nicht vermarktet werden, obwohl sie geschmacklich interessant sind und reich an wertvollen Inhaltsstoffen wie Flavonoiden und Anthocyanen.«
    »Unterschiedlich geformte Früchte schmecken interessanter und vielfältiger«, meint der Agrarwissenschaftler. Zum Beispiel »mehrbeinige« Biokarotten: Bestimmte Fadenwürmer im Erdreich bringen die Wurzel dazu, sich zu

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