Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
Bio-Rindswurst, nach traditionell westfälischem Rezept leicht geräuchert, ein wenig Pfeffer, keine chemischen Zutaten. Wer in seinen Hofladen kommt, dem kann ich diese Wurst nur empfehlen, wobei seine Leberwurst im Einmachglas auch mindestens fünf Sterne verdient.
»Meinen Schweinen kann ich die rohen Kartoffeln leider nicht verfüttern, ihr Magen verträgt das nicht.« Schweinemägen können die Stärke der Kartoffeln nur gekocht aufschließen, aber so große Töpfe hat Bauer Baringdorf nicht. Und so bleibt leider ein Berg Kartoffeln übrig, der schließlich auf einem großen Komposthaufen vergammelt.
Und das alles nur, weil die Kartoffeln keiner Handelsnorm entsprechen. Hat nicht die Europäische Union die ganzen unsinnigen Normen und Standards erfunden? Dass nur gerade Gurken verkauft werden dürfen und keine krummen?
Ortsbesuch im Berlaymont-Hochhaus in Brüssel, dem Sitz der EU – Kommission. Die Sicherheitsbestimmungen machen einen Besuch etwas umständlich, vor allem dann, wenn man ein schweres Kugelkopf-Stativ und eine große HD – Kamera mitbringt. Nachdem alles durchleuchtet ist, bringt uns Roger Waite in sein Büro im 5. Stock des Hochhauses.
Die Normen interessierten Ernährungsqualität, Geschmack- und Inhaltsstoffe nicht.
Als Pressesprecher des Agrarkommissars ist er es gewohnt, die EU – Agrarpolitik zu verteidigen, und als Brite ist er ohnehin ein eher kontrolliertes Gemüt. Aber beim Thema Gurken kann er nicht an sich halten und wird sichtlich genervt: »Immer wieder die alte Geschichte von der krummen Gurke. Der Punkt dabei ist: Die EU – Kommission hatte die Gurken-Richtlinie deswegen erlassen, weil der Handel gerade Gurken wollte, weil sie einfacher zu verpacken sind«, erinnert sich Roger Waite. Maximal ein Zentimeter Krümmung auf zehn Zentimeter Länge erlaubten die Brüsseler Bürokraten. Über 20 Jahre lang durften krumme Gurken nicht im Supermarkt verkauft werden. Sie wurde zum Symbol europäischer Regulierungswut.
Schließlich wurden die Eurokraten der steten Kritik müde: »Im Juli 2009 haben wir die Richtlinie geändert. Wenn heute jemand krumme Gurken verkaufen will, dann wird die EU nicht sagen: Nein, du darfst das nicht.« Die EU strich die Vermarktungsnormen für 26 Obst- und Gemüsesorten. So darf der Rettich jetzt wieder zwei Wurzeln haben, die Karotte verzweigt gewachsen sein und die Gurke so krumm, wie die Natur sie eben wachsen lässt. Nur: Die Supermärkte wollen sie nicht.
Wie bitte? Die EU – Bürokraten lockern ihre Vorschriften, aber der Handel tut so, als ob gar nichts passiert wäre? Wie kommt das? Karl Schmitz muss es wissen. Der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse ( BVEO ) spricht Klartext: »Die Abschaffung der EU – Norm ist ein klassischer Flop. Die Händler haben jetzt vereinbart, genau das Gleiche weiter zu tun.« Der Lobbyist ist überzeugt: »Ohne Normen kann man zwischen Kaufleuten nicht handeln.« Als Beweis führt er an: »Gurken, die krumm sind, die konnte man vorher nicht kaufen. Wenn Sie heute durch die Geschäfte gehen, dann werden Sie auch heute keine krumme Gurke sehen.«
Roger Waite von der EU hat eine einfache Erklärung: »In der Praxis wollen die Supermärkte keine krummen Gurken, weil sie nicht in die Kisten passen.« Der Handel schiebt die Schuld weiter – auf die Verbraucher. Michael Gerling vom Lebensmittelhandel: »Was wollen Sie – das ist Konsumentendemokratie. Die Kunden stimmen jeden Tag mit ihren Kaufentscheidungen ab, und ich denke, das ist gut so. Wir leben ja in einer Gesellschaft, wo wir sagen: Wir haben einen mündigen Verbraucher.«
Doch stimmt das wirklich? Die meisten Verbraucher wissen doch gar nicht mehr, dass Gurken auch krumm wachsen können. Schmecken tun sie genau gleich. Also mir wäre es egal. Inzwischen gehe ich sogar gezielt auf Ware zu, die nicht so gleichförmig aussieht, zum Beispiel, wenn Äpfel in einer Tüte viele unterschiedliche Größen haben – auch wenn mal einer dabei ist, der nicht perfekt rund geformt ist. Wichtiger sind mir Geruch und Farbe. Eigentlich ist es doch klar: Äpfel sind kein industrielles Produkt und können deshalb nicht immer gleich aussehen.
Doch warum sieht dann das Angebot in den meisten Supermärkten so uniform aus, als ob die Äpfel in der Fabrik gemacht würden? Bei den Äpfeln hat die EU tatsächlich noch die Finger im Spiel, denn für die zehn umsatzstärksten Obst- und Gemüsesorten, darunter auch Äpfel,
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